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Schily versteht Frust der Migranten

Innenminister führt Kriminalität unter ausländischen Jugendlichen auf Fehler der Politik zurück, spricht von „nachvollziehbaren Frustrationen“ und gelobt größere Integrationsanstrengungen in der Zukunft. Doch Herkunftssprachen fördern will er nicht

von LUKAS WALLRAFF

Man soll es kaum glauben, aber auch in Wahlkampfzeiten ist eine sachliche Diskussion über Zuwanderung und Integration manchmal noch möglich. Wie das geht, wurde gestern ausgerechnet im ehemaligen Staatsratsratsgebäude der DDR am Berliner Schlossplatz demonstriert. Noch erstaunlicher: Dieses Kunststück gelang dem Deutschen Forum für Kriminalprävention ausgerechnet bei einer Tagung, die sich mit einem der heikelsten Themen überhaupt beschäftigte: der so genannten Ausländerkriminalität.

Selbst Innenminister Otto Schily (SPD), der die Integrationsdebatte vor zwei Wochen mit seiner simplen Forderung nach „Assimilierung“ der Migranten bereichert hatte, gab sich gestern sensibel und selbstkritisch.

Wie die meisten anderen Referenten machte Schily für die immer noch überdurchschnittliche Kriminalitätsrate unter ausländischen Jugendlichen nicht etwa die fremde Kultur der Migranten oder ihre mangelnde Integrationsbereitschaft verantwortlich, sondern die Versäumnisse der deutschen Politik und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. „Die Kriminalität von Ausländern und Spätaussiedlern resultiert oft aus ihrer ungünstigen sozialen Lage“, sagte Schily. Nach wie vor seien ausländische Familien „in der Regel schlechter gestellt als deutsche“. Mangelnde Bildungserfolge, fehlende Perspektiven und Defizite bei den Integrationsangeboten führten zu „nachvollziehbaren Frustrationen“ unter jungen Migranten. Schily sprach von „jahrzehntelangen Versäumnissen“, räumte aber auch ein, dass sich unter Rot-Grün wenig an der Misere geändert hat. So sei die Zahl ausländischer Jugendlicher ohne Ausbildungsabschluss in den letzten Jahren gestiegen.

Das Zuwanderungsgesetz bezeichnete Schily eher bescheiden als „Einstieg“ in eine umfassende Integrationspolitik – und versprach neue Anstrengungen in der nächsten Legislaturperiode. Gerade auch um die Jugendkriminalität zu bekämpfen, müsse dabei „im Mittelpunkt“ stehen: „größtmögliche Chancengleichheit“ für Migranten.

Bisher kann davon keine Rede sein. Nur 9 Prozent der Migrantenkinder machen Abitur. Nach wie vor dominiert der Hauptschulabschluss – fast 20 Prozent verlassen das deutsche Schulsystem ganz ohne Abschluss.

Angesichts dieser Zahlen zog die Hamburger Professorin für vergleichende Bildungsforschung, Ingrid Gogolin, das Fazit: „Der Anspruch, Bildungserfolg unabhängig vom Herkunftsland zu ermöglichen, ist in Deutschland nicht eingelöst.“ Aber was tun? Da scheiden sich die Geister. Während Schily vor allem auf die Deutschsprachkurse setzt und die Förderung von Herkunftssprachen ablehnt, meint Gogolin: „Die Missachtung der Herkunftssprache ist eine gesellschaftliche Verschwendung.“ Die Welt werde immer internationaler, da seien zweisprachige Bürger ein „großes Potenzial“. Gefragt sei „interkultureller Unterricht“. Zahlreiche Studien hätten bewiesen, dass die Kenntnis der eigenen Sprache beim Deutschlernen sehr förderlich sei.

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