Sechzig Jobs geschreddert

Die Netcenter AG steht vor der Pleite. In den Worten des Vorstands hört sich der Niedergang des Call Centers allerdings bloß wie eine Verkettung unglücklicher Umstände an

„Ich habe meine private Kreditkarte für die Leute in den Automaten gesteckt“

Die Telefone sind tot, die Internetseite funktioniert nicht mehr, und dennoch sind am letzten Tag noch zwanzig Mitarbeiter in die Büros in der Emil-Sommer-Straße in der Vahr gekommen. „Um die guten Leute tut es mir leid. Und um die sieben Jahre Aufbauarbeit“, sagt Marc Dörre, Noch-Vorstand der Netcenter AG. Seine Firma ist pleite, ein Rechtsanwalt wird laut Dörre bald Insolvenzantrag stellen. Und: „Sechs Wochen habe ich alles versucht. Jetzt werden auch die letzten sechzig Jobs geschreddert.“

„Für die Beschäftigten wurde das auch Zeit“, sagt Kornelia Knieper von der Gewerkschaft Verdi. Bei der letzten Mitarbeiterversammlung von Netcenter meldeten sich erneut Mitarbeiter, die seit März ohne Gehalt auskommen mussten.

Lange sah es so aus, als ob Bremen mit Call Centern einen Weg aus der Jobmisere hätte finden können. Der Name „Call Center City“ wurde geschützt, rund 50 Firmen mit 2.500 „Agents“ soll es vergangenes Jahr noch gegeben haben. Die Netcenter AG war vor sechs Monaten mit 120 Jobs noch einer der größeren Fische auf dem Markt der Teledienstleister. Doch die „Zukunftsbranche“ erlebt zur Zeit nicht gerade Rückenwind, nur 30 Call Center in Bremen dürften die Flaute überleben, schätzen Insider. Netcenter wird nicht dazu gehören. Daran ist nicht nur der Trend, sondern wahrscheinlich auch das seltsame Geschäftsgebahren des Vorstands schuld.

Lange hat Dörre geschwiegen und wohl auch gelogen – bei diesem vermeintlich letzten Gespräch als Vorstand, zu dem er eigens in die taz-Redaktion gekommen ist, versucht Dörre, alles ins rechte Licht zu rücken. Nein, er habe mitten in der Krise nicht Urlaub in der Karibik gemacht, sondern in Italien:„Da haben die Leute wohl Venezuela mit Venedig verwechselt.“

Und ja, er habe „Fehler gemacht“, als er seine Angestellten über Monate hinweg nicht bezahlte. „Aber ich habe auch meine private Kreditkarte in den Automaten gesteckt, damit die Leute zu Geld kommen.“ Und: „Ich hatte doch immer wieder den Ansatz für eine Lösung.“ Für Dörre liest sich der Niedergang der Netcenter AG wie eine Verkettung unglücklicher Umstände.

380.000 Euro seien so „den Bach herunter gegangen“, als Netcenter im vergangenen Jahr angeblich 100.000 Fankarten von Michael Jackson per Telefon verkaufen sollte. „Verkauft wurden 33“, klagt der Center-Chef. Dann Anfang diesen Jahres das Wegbrechen des Premiere World-Auftrages: Wieder 200.000 Euro Verluste. Weitere Minusgeschäfte folgten. Dann kam der Ex-CDU-Senator Ulrich Nölle, der seinen „Riesen-Auftrag“ nur versprach, aber nie realisierte.

Mit ihm hat Dörre abgeschlossen – genau wie mit der Stadt Bremen, deren Aufbaubank er ganz zum Schluss um einen Überbrückungskredit in Höhe von 300.000 Euro anbettelte. Aber er blitzte ab, trotz neuem Auftrag. Dörre zeigt Papiere, die beweisen sollen, dass es diesen Auftrag tatsächlich gibt. Und sagt: „Wenn man einem Unternehmen helfen will, ist auch ein Weg da.“ Aber offensichtlich nahm ihn niemand mehr ernst. Dörre: „Ich bin komplett enttäuscht von der Stadt.“

Mit dem Auftrag in der Tasche, der angeblich 100 Jobs schaffen soll, zieht der Pleitier jetzt weiter. Angeblich will er in Delmenhorst ein neues Call Center aufziehen. Auf jeden Fall will er nicht mehr nach Bremen, „nein, um Gottes Willen nicht.“

Kai Schöneberg