: Am Anfang: Der Aidstest
In südafrikanischen Pilotprojekten erhalten Schwangere Aidsmedikamente
aus Johannesburg MARTINA SCHWIKOWSKI
Das Johannesburger General Hospital ist ein abschreckend grauer Koloss aus drei massiven Betonsilos. Auf hässlich-nackten Korridoren warten Patienten auf Hilfe. Im roten Block im Erdgeschoss trifft Welekazi Tsutsu, eine kleine, rundliche, mütterlich wirkende pensionierte Krankenschwester, täglich Frauen, die zur Geburtsvorbereitung kommen.
In einem kleinen Raum ermuntert sie die Frauen zum Aidstest und macht ihnen Mut. Hier befindet sich seit Oktober 2001 ein Untersuchungszentrum, in dem Schwangere das Anti-Aids-Medikament Nevirapin erhalten, um ihre ungeborenen Kinder vor einer Virusinfektion zu schützen. Dieses Projekt existiert schon seit 1999, lange bevor die Regierung Südafrikas landesweit 18 Pilotprojekte für Nevirapin einrichtete. Letzten Freitag entschied das Verfassungsgericht schließlich, dass die Regierung Nevirapin allen schwangeren HIV-Infizierten zur Verfügung stellen muss.
Im Alltag der 60-Jährigen wird sich dadurch zunächst nicht viel ändern. Mit sechs Beraterinnen motiviert sie die Mütter in Gesprächen erst einmal zur Offenheit und legt ihnen Informationen über Aids vor. Niemand wird zum Aidstest gezwungen. Von rund 25 neuen Patientinnen jeden Tag ist etwa die Hälfte freiwillig zur Untersuchung bereit. Durchschnittlich etwa 30 Prozent davon erweisen sich dann als HIV-infiziert.
„Für die meisten ist es nicht leicht, das Ergebnis zu akzeptieren. Doch diejenigen, die kommen, sind inzwischen besser informiert und vermuten eine Infektion“, sagt Welekazi Tsutsu. Als sie mit ihrer Beratungsarbeit begann, reagierten die Patientinnen noch ablehnender. Damals gab das Johannesburger Krankenhaus Nevirapin für etwa vier Mark per Rezept, obwohl die Regierung die Verabreichung des legalen Medikaments in Krankenhäusern offiziell nicht zuließ. Mit einer jetzt frei verabreichten Einzeldosis Nevirapin für infizierte Mütter ab dem siebten Monat und einer einmaligen Dosis ist die medizinische Behandlung erledigt. Etwa die Hälfte der Babys HIV-positiver Mütter werden dann HIV-negativ geboren.
„Wir raten Frauen, entweder gar nicht oder nur ganz kurz zu stillen und dann strikt zur Milchflasche überzugehen, um weitere Risiken für das Kind zu vermeiden“, sagt Tsutsu. „Viele Frauen sehen wir allerdings nie wieder.“ Die gravierenden Probleme liegen außerhalb der Krankenhausabteilung. „Eine Mutter, die ihr Baby mit einer Milchflasche stillt, wird sofort als aidskrank verdächtigt und ausgegrenzt“, bestätigt die Krankenschwester. Verbergen kann die Mutter ihren Zustand in der Regel nicht: „Wir wohnen in einem Raum, schlafen mit Kindern, Onkel, Tanten und Ehepartnern nebeneinander – Privatsphäre ist nicht vorhanden.“
Und Frauen und Kinder lernen das, was der Mann bestimmt. „In ländlichen Gegenden wird der Frau von den Älteren immer noch eingeschärft, ihren Mann nicht danach zu fragen, wo er war, wenn er heimkommt“, berichtet sie. Promiskuität – oft durch die Migration der Männer zur Arbeit in die Städte gefördert – trage zur Aidskrise bei, und die Mehrheit der Männer sei „unmöglich“. Sie wollen keine Kondome und verbieten der Frau, das Frauenkondom zu benutzen, das in Südafrika stark propagiert wird. Infizierte Frauen schweigen häufig über das Verhalten ihrer Männer, da sie auf deren Unterhalt angewiesen sind. Es kommt durchaus vor, dass der Mann die kranke Frau sitzen lässt.
„Am besten wäre es, mehr Menschen würden ihren HIV-Status ohne Rücksicht auf Konsequenzen offen legen“, findet Welekazi Tsutsu. „Vielleicht prominente Leitfiguren.“ Sie wünscht sich einen Präsidenten, der öffentlich einen Aidstest macht. Auch die Kirchen müssten stärker ihre Stimme erheben.
Auch wenn die Regierung jetzt nach der Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts ohne Verzögerung in staatlichen Krankenhäusern Nevirapin zur Verfügung stellen muss, ist Welekazi Tsutsu noch skeptisch. Es bleibt die Frage nach den Kapazitäten der Krankenhäuser, besonders auf dem Land. Schließlich geht es nicht nur um die Gesundheit des Babys, sondern auch um die der Mutter. Auf eine Nevirapin-Behandlung müsste eine Behandlung mit billigen Anti-Aids-Medikamenten folgen, damit die Mutter nicht stirbt. Aber nach wie vor importiert Südafrikas Regierung keine Generika, um dies möglich zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen