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Spurenerkundung

Das Stadtteilarchiv Ottensen organisiert zum 70. Jahrestag des Altonaer Blutsonntags einen geschichtlichen Rundgang, eine Diskussion und eine Ausstellung zur Jugend im Nationalsozialismus

von CHRISTIAN RUBINSTEIN

Endzeit der Weimarer Republik: Im Juni 1932 hatte die Reichsregierung ein kurzzeitiges Verbot von SA und SS wieder aufgehoben. Am 17. Juli kamen etwa 7000 uniformierte Mitglieder der beiden Naziorganisationen aus Schleswig-Holstein und Hamburg zusammen. Sie marschierten durch die Arbeiterviertel von Ottensen und Altona. Begleitet von wütenden Protesten der AnwohnerInnen. Die Situation eskalierte, bei den anschließenden Schlägereien und Schießereien kamen 18 Menschen ums Leben. Ein Zeitzeuge: „Dann sahen wir blaue Mannschaftswagen mit Polizei kommen und einer hielt uns direkt gegenüber ... Und wir waren entsetzt, als wir sahen, dass der Polizist ohne weitere Anweisung seinen Karabiner an die Backe legte und zielte und schoss.“

Die Ereignisse lieferten den Vorwand zur Ablösung der sozialdemokratischen Landesregierung in Preußen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden 16 Kommunisten und Sozialdemokraten als vermeintliche Urheber des Blutsonntags verurteilt. Bruno Tesch, August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff wurden hingerichtet.

Aus Anlass des 70. Jahrestages hat das Stadtteilarchiv Ottensen einen Rundgang zu den Tatorten organisiert. Es soll eine besondere Art der Erinnerungsarbeit sein, eine multimediale Erkundung der Spuren, die die Ereignisse konkret vor Ort hinterlassen haben. „Wir haben nach einer Form gesucht, wie wir Geschichte auf die Straße zurückbringen können“, erklärt Elisabeth von Dücker. Die Historikerin gehört zu der Arbeitsgruppe, die die Tour vorbereitet hat.

Der Startpunkt am 17. Juli – Ecke Louise-Schroeder-Straße/Unzerstraße – liegt in der Nähe der Stelle, an der es die ersten Todesopfer gab. In sieben Stationen werden die Geschehnisses nachvollzogen. Tonbandaufnahmen einer Wochenschau sollen die Atmosphäre der Naziaufmärsche der dreißiger Jahre verdeutlichen. Vor dem Amtsgericht in der Max-Brauer-Allee lesen Schauspieler zudem aus dem Abschiedsbrief von Bruno Tesch und dem Gnadengesuch der Eltern von Karl Wolff.

Eine Verbindung zur Gegenwart zieht ein Bericht über den Naziaufmarsch in Altona vor zwei Jahren. Dazu von Dücker: „Das ist ein Rundgang gegen das Vergessen und Wegschauen. Wir wollen das Erinnern mit dem Nachdenken über unsere Gegenwart verknüpfen.“ Auch musikalische Untermalung ist vorgesehen: Die Two Troubaduras begleiten den Rundgang mit Klezmer und Folk.

Begleitend läuft in den Räumen des Stadtteilarchivs noch bis zum 17. Juli die Ausstellung Jugend im Nationalsozialismus im Kreis Lüchow-Dannenberg. Sie ist eine Wanderausstellung des Museums Wustrow. Diese Region hat zwar nicht unmittelbar etwas mit dem Blutsonntag zu tun, die Schau kann aber dazu beitragen, den Hintergrund auszuleuchten. „Viele der in Altona marschierenden Nazis kamen aus Schleswig-Holstein und hatten einen ländlichen Hintergrund“, sagt Stadtteilarchiv-Mitarbeiter Michael Sandmann.

Die Ausstellung vermittelt Einblicke in den Alltag des gewöhnlichen Faschismus in einem überschaubaren agrarischen Raum. Texttafeln und Fotos zeigen Ausschnitte aus der Lebenswelt von Jugendlichen im Nationalsozialismus: Hitlergruß in der Schule und Abenteuerspiele mit der Hitlerjugend als Teil der alltäglichen Gleichschaltung. Im Tagebuchauszug einer Dreizehnjährigen zum Beispiel spiegelt sich naive Hitlerverehrung.

Wer sich noch intensiver mit den historischen Abläufen beschäftigen möchte, kann eine weitere Veranstaltung des Stadtteilarchivs nutzen. Am 16. Juli kommt Anthony McElligott von der Universität Limerick zu einer Diskussionsveranstaltung. Der Geschichtsprofessor hat in Hamburg seine Doktorarbeit geschrieben und zum Thema geforscht. Titel seines Buches: Städtische Politik und Aufstieg des Nationalsozialismus in Altona, 1917-1937. Er ist dem Stadtteilarchiv verbunden, seit er Anfang der achtziger Jahre die ersten Stadtrundgänge zum Altonaer Blutsonntag mit organisierte.

Diskussion mit Anthony McElligott: Dienstag, 16. Juli, 19.30 Uhr, Stadtteilarchiv Ottensen, Zeißstraße 28, Eintritt 2 Euro

Rundgang: Mi, 17. Juli um 17 Uhr, Treff: Louise-Schroeder-Straße/Ecke Unzerstraße, Kosten: 6/3 Euro.

Ausstellung: bis 17. Juli in den Räumen des Stadtteilarchivs Ottensen

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