piwik no script img

Ein Sklave für ein Auge

Sie sind der Schrecken der Meere, ein wilder Haufen, ein Mythos, und vor allem sind sie eins: kriminell. Ein bildreicher Band widmet sich dem Phänomen der Piraten

Piraten. Nein, das sind nicht die verwegenen Männer mit oder ohne Brusthaar, die erst die Tochter des Gouverneurs erst rauben und dann ihr Herz im Sturm erobern. Piraten sind Kriminelle, deren Handlungen grundsätzlich mit Gewalt gegen Personen verbunden sind. So ist es heute, und früher war‘s nicht viel anders. Und doch, sie haben sowas Gewisses, die Schrecken der Meere. Ein großes Buch klärt jetzt auf, entstanden nach der erfolgreichen Piraten-Ausstellung im Überseemuseum vor zwei Jahren. Danach trafen sich namhafte Piratenforscher in Bremen – ihre Beiträge sind in dem umfangreichen Band zusammengefasst.*

Um 500 Jahre Piraten-Dasein rund um den Globus geht es da, und danach ist zumindest eines klar: Mit der Romantik ist es so weit nicht her bei den Freibeutern, Kaperfahrern und Seeräubern. Von wegen Robin Hood der Meere. Zum Beispiel die „Bukanier“. Franzosen, die sich in Haiti niederließen, dort vor allem jagten und grillten ( „boucain“ heißt Holzgrill auf Französisch, daher der Name), das Erjagte gegen Gewehre, Schnaps und Tabak tauschten und Schiffe überfielen. Die Bukanier lebten in Männerbünden und teilten alles, wirklich: alles. Auch einander. Sowieso aber die Frauen, die Knechte, alles Materielle ohnehin. Galeerendienst sei erträglicher als der Dienst bei einem Bukanier, befand ein zeitgenössischer Autor. Und als ihnen dann die Spanier auch noch die Tierherden töteten – Anfang des 17. Jahrhunderts war das –, da ging die Piraterie erst richtig los. Unterstützt wurden die Bukanier von den Engländern, die allen halfen, die gegen die Spanier waren. Irgendwann riefen sie auf den Bahamas ihre eigene Republik aus und boten Gesetzlosen aus aller Welt eine Zuflucht. Sie bestimmten in einer Art Demokratie, wer ihr Kapitän sein solle und wer wieviel vom anstehenden Beutezug bekäme. Sogar der Verlust von Körperteilen erfuhr ein Reglement: „Für einen linken Arm fünfhundert Stück von Achten oder fünf Sklaven. Für ein Auge hundert Stück von Achten oder ein Sklave.“ Und wenn‘s ums Feiern ging, herrschte Gruppenzwang: „Mein eigener Herr hat des öfteren ein Fass Wein gekauft, es mitten auf die Straße gesetzt, den Spund eingeschlagen, stellte sich dann dazu und alle, die vorübergingen, mussten mit ihm trinken, andernfalls er sie mit einem Rohre, dass er zu diesem Ende beis sich hatte, totgeschossen haben würde.“

Raue Sitten und nur scheinbar demokratische Züge. „Sie gründeten nichts, sie zerstörten nur“, befindet Piraten-Fachfrau Renate Niemann in ihrem Beitrag über die Bukanier.

Was wollten sie auch groß vom Leben? Viele wurden zu Piraten, weil sie in der alten Welt gescheitert waren. Sie bedienten sich am Reichtum, der ihnen vor der Nase entlang segelte. Das tun Piraten heute noch. Der Reichtum ist inzwischen auf Containerriesen und Ozeanfrachter unterwegs.

Auch darum geht es in dem reich bebilderten Band: Piraterie als sehr reales Delikt, das zunimmt, Seeleute oft wenig vorbereitet trifft und vor große Probleme stellt: Wie sich wehren, wenn man keine Waffen benutzen will? Und wenn es um rechtliche Verfolgung geht, wird es angesichts von Küsten-, Schiffs- und Flaggenzugehörigkeiten höchst kompliziert und damit wenig effektiv.

Die wenigsten Piratenakte von heute haben eine solche Pointe wie dieser, der sich in Indonesien ereignete: „Letzten Monat sind bei einem italienischen Schiff auf Reede nette Damen eingestiegen, um die Bedürfnisse der Seeleute zu befriedigen“, erzählt ein deutscher Kapitän seiner Reederei. „Eine Stunde später kamen Uniformierte an Bord, gaben sich als Harbour Police aus, verhafteten dramatisch die Damen und stellten den Kapitän vor die Wahl, entweder verhaftet zu werden oder 5.000 US-Dollar zu bezahlen. Der Kapitän zahlte natürlich.“ Dumm nur: Die echte Harbour Police wusste von all dem nichts. Susanne Gieffers

*„Piraten – Abenteuer oder Bedrohung“ (Hg. Hartmut Roder), Edition Temmen, 15,90 Euro.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen