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Handwerk im Südwesten fordert eine Schule für alle

Die erste Wirtschaftslobby fordert seit Pisa, das dreigliedrige Schulsystem zu überprüfen: Den Handwerkern geht qualifizierter Nachwuchs aus

BERLIN taz ■ Die Debatte über Konsequenzen aus der Schulstudie Pisa bekommt eine völlig neue Wendung. Mit dem Baden-Württembergischen Handwerkstag stellt überraschenderweise eine Wirtschaftslobby die bislang radikalsten Forderungen: Es brauche eine völlig neue Lernkultur in Deutschland. Und es sei ein kompletter Umbau des Schulsystems nötig – das bedeutet die Schaffung einer neunjährigen Schule für alle. Nicht einmal die linke Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht so weit.

Der Handwerkstag, der Dachverband für knapp 70 Innungen und Kammern ist, orientiert sich an den Interessen seiner 120.000 Mitgliedsbetriebe: Den Meistern geht der qualifizierte Nachwuchs aus. Ein Drittel der Ausbildungsbetriebe im boomenden Südwesten fand im Jahr 2001 keine geeigneten Bewerber. Denn einem Fünftel der baden-württembergischen 15-jährigen fehlen laut Pisa elementare Grundkenntnisse in Lesefähigkeit. Auch „ihre mathematische Grundbildung reicht nur bedingt für die erfolgreiche Bewältigung einer Berufsausbildung aus“, schreiben die Autoren des 35 Seiten langen Gutachtens.

Die Mittelständler weisen auf ein wenig beachtetes Problem hin, das Pisa aufgedeckt hat: Auch das Mittelfeld der 15-Jährigen in Deutschland sei zu dünn und zu schwach. „Wie kann ein Wirtschaftsstandort zukunftsfähig sein, wenn ein Fünftel seiner 15-Jährigen als Risikogruppe eingestuft werden muss und weitere 17,5 Prozent Standardanforderungen nur unzureichend erfüllt?“ Dem Handwerk, so heißt es weiter, fehlten Lehrlinge, „die ihre Ausbildung mit überdurchschnittlichen Leistungen absolvieren.“ Ein Potenzial von rund 15.000 Lehrstellen, so eine Umfrage des Handwerkstages bei seinen Mitgliedsbetrieben, werde gar nicht erst geschaffen – weil es ohnehin keine guten Bewerber dafür gebe.

Die Schlüsse des Handwerks aus dem Südwesten sind geradezu revolutionär. Als erster Wirtschaftsverband fordern sie, dass Lernen künftig nicht mehr nur ein passiver Prozess sein dürfe, „in dem ausschließlich der Lehrer als Sender von Informationen und die Schüler lediglich als Adressaten fungieren“.

Auch die neue Schulstruktur der Handwerkslobby dürfte bei Konservativen wenig Freunde finden. An eine neunjährige gemeinsame Schulgrundstufe für alle sollen sich drei Formen von Oberstufe anschließen: das bisherige allgemein bildende Gymnasium, die bisherige duale Ausbildung und – das ist neu – ein berufliches Gymnasium. CIF

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