: Hormonskandal in der Tiermast weitet sich aus
Hunderte Betriebe müssen möglicherweise geschlossen werden. Künast fordert Positivliste. Handelsketten nehmen Antibiotika-Puten aus Sortiment
BERLIN taz ■ Der Skandal um das in der Tiermast verbotene Anti-Baby-Hormon MPA nimmt kein Ende: Hunderte von deutschen Betrieben müssen gesperrt werden, sagte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn gestern. Grund: Am Wochenende war klar geworden, dass weitere 1.300 Lieferungen mit verseuchtem Futtermittel aus den Niederlanden nach Deutschland gekommen sind. Vor allem sind Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen, aber auch Bayern, Thüringen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt.
Und Deutschland ist kein Einzelfall. Belastete Futtermittel sind auch nach Belgien, Dänemark, Schweden und Frankreich geliefert worden. Deshalb diskutierten die europäischen Agrar- und Verbraucherminister gestern nicht nur über die Agrarreform, sondern auch über Konsequenzen aus der Hormonaffäre. Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) forderte eine Positivliste. Darin sollen die Substanzen genannt werden, die für die Tiermast erlaubt sind.
Bisher lautet die Vorgabe: Futtermittel dürfen nur Bestandteile enthalten, die Tiere und Menschen nicht schädigen. Zu dehnbar, meint Ursula Horzetzky, Sprecherin von Künast. „Es muss präziser werden, was rein darf und was nicht.“ Das meinen auch die Verbraucherverbände: „Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber dem Einfallsreichtum der Branche hinterherrennt“, sagt der Sprecher des Bundesverbandes, Carel Mohn.
Es stimmt: Der aktuelle Fall zeigt, dass es nicht ausreicht, nur verbotene Substanzen aufzulisten. Das Anti-Baby-Hormon MPA, die Abkürzung steht für Medroxy-Progesteron-Acetat, ist seit Anfang der Achtzigerjahre in Futtermitteln verboten. Nicht ohne Grund: Nimmt man es in hohen Dosen oder über längere Zeit zu sich, kann der Kinderwunsch zum Problem werden.
Die belgische Firma Bioland, die als Auslöser für die Affäre gilt, hat das wohl wenig gekümmert. Das Entsorgungsunternehmen soll alte Medikamente aus Irland in Glucosesirup – Grundlage nicht nur von Futtermitteln, sondern auch von Säften – aufgelöst haben. Inzwischen ist es pleite.
Was bleibt, ist die Haftungsfrage. Wer kommt auf für die Schäden von Bauern, deren Betriebe gesperrt werden? Künast hat nach dem Nitrofenskandal in Deutschland schon einmal einen Versuch gestartet, für solche Fälle einen Hilfsfonds einzurichten. Er scheiterte an der Futtermittelindustrie. Nun hat sie Grund genug, die Gespräche noch einmal aufzunehmen.
Das Antibiotikum Tetracycline beispielsweise, das als Wachstumsförderer bekannt ist, ist im Tierfutter bereits seit knapp dreißig Jahren verboten. Dennoch berichtete Greenpeace letzte Woche, dass von der Firma Agricola Italiana Alimentare mit Sitz im italienischen Verona nach Deutschland geliefertes Putenfleisch belastet ist. Inzwischen haben die Handelsketten Wal-Mart, Tengelmann und Kaufhof – nur dort hatte die Umweltorganisation Proben genommen – das Putenfleisch aus den Regalen verbannt. Das Hormonfleisch lässt sich nicht so leicht aussortieren. HANNA GERSMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen