: Über das Sportliche hinaus
Früher wurde Uli Stielike von Berti Vogts und Jupp Heynckes in den Hintern getreten. Heute wünscht er sich Gleiches auch für die jungen Spieler, die er bei der U19-EM in Norwegen als DFB-Trainer betreut
Interview TOBIAS SCHÄCHTER
taz: Herr Stielike, für Ihre Spieler ist diese U19-Europameisterschaft der letzte Auftritt im Juniorenbereich. Erinnern Sie sich noch, was Sie mit 18, 19 Jahren so getrieben haben?
Uli Stielike: Sehr gut sogar. Auch ich habe in diesem Alter an einem Uefa-Junioren-Turnier teilgenommen, 1973 in Italien. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil ich durch einen katastrophalen Querpass unsere Niederlage im letzten und entscheidenden Gruppenspiel eingeleitet habe.
Das erzählen Sie Ihren Spielern wohl besser nicht.
Wieso denn nicht? Ich habe trotzdem meinen Weg gemacht. Das sind alles Dinge, von denen meine Spieler profitieren. Ich weiß, wie nahe Glück und Pech beisammen sind und wie schnell man weg vom Fenster sein kann. Da stehe ich mit beiden Beinen auf dem Boden – und das sind alles Werte, die ich versuche, den Jugendlichen zu vermitteln. Die Arbeit eines Auswahltrainers geht eben über das Sportliche hinaus.
Ihre Karriere hat sich ja auch trotz des Malheurs von damals ganz ordentlich entwickelt.
Das Grausame ist ja, dass es oftmals nicht in den Händen der Jungs liegt, wie es mit ihnen weitergeht. Wenn man ihnen nicht die Chance gibt, in einer gehobenen Klasse zu spielen, ist es vorbei, bevor es angefangen hat.
Wieso hat es bei Ihnen damals geklappt?
Ich verdanke es dem Mut von Hennes Weisweiler, der mich ins kalte Wasser geworfen hat. Zudem hatte ich das Glück, 1973 in eine gefestigte Gladbacher Mannschaft zu kommen. Diese Mannschaft mit Vogts, Heynckes, Wimmer und wie sie alle hießen war mein Lehrmeister. Die haben mir in den Hintern getreten oder mich gelobt. Das kann nicht immer von der Bank kommen, deswegen ist Spielpraxis so wichtig.
Heute hingegen schaffen immer weniger junge Spieler den Sprung zum Bundesliga-Stammspieler.
Weil die Trainer unter wahnsinnigem Druck stehen. In der Regel zieht man einen erfahrenen Spieler einem 18-Jährigen vor, weil man glaubt, darin stecke mehr Garantie für den Erfolg. In Frankreich oder Holland spielen die Topspieler im Ausland und es ist schon deshalb mehr Platz für den Nachwuchs. Unsere Topspieler aber stehen vorwiegend bei deutschen Klubs unter Vertrag. Zudem hat man in den letzten Jahren zu viele durchschnittliche ausländische Profis verpflichtet.
Dann könnte die Kirch-Krise ja quasi ein Segen für junge Spieler sein?
Es kann ein Segen sein. Aber es steht zu befürchten, dass bei Geldknappheit an der falschen Stelle gespart wird, nämlich gerade im Nachwuchsbereich. Das wäre natürlich fatal.
Zählt heutzutage tatsächlich nur noch das Ergebnis?
Ja. Der beste Beweis, dass das nackte Ergebnis im Vordergrund steht, ist doch die WM. Die Art und Weise der deutschen Siege gegen Paraguay und gegen die USA wird letzten Endes wenig hinterfragt.
Das stört Sie?
Man kann bei einem Turnier mit reinem Ergebnisspiel zwar Erfolg haben, aber langfristig ist entscheidend, wie man sich auf dem Platz ausdrückt. Michael Skibbe hat nach einen WM-Spiel sinngemäß gesagt: „Wir sind keine Mannschaft, die den Gegner 90 Minuten unter Druck setzen kann.“ Genau da muss man ansetzen: Wir in der Ausbildung sind gefordert, spielstärkere Mannschaften auf den Platz zu bekommen.
Wie machen Sie das?
Als ich vor vier Jahren beim DFB anfing, lag der Schwerpunkt auf der taktischen Ausbildung. Man hat geschaut, wie europäische Spitzenmannschaften spielen: Ob mit Dreier- oder Viererkette, wie funktioniert das Übergeben, all diese Sachen. Jetzt sind wir auf dem Weg, wieder mehr den Individualisten zu fördern. Die Kunst wird sein, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.
Davon abgesehen steht wohl auch bei der Europameisterschaft in Norwegen das Ergebnis im Vordergrund.
Natürlich. Wir wollen im nächsten Jahr zur U20-WM. Und das bedeutet, dass wir mindestens Dritter unserer Gruppe werden müssen. Überhaupt: Wenn man als deutscher Junioren-Nationalspieler oder -trainer bei solch einem Turnier teilnimmt, dann gibt es nur ein Ziel – ganz vorne dabei zu sein. Dazu gehört, das hat die WM in Asien gezeigt, auch Glück. Und da ist es egal, dass die Engländer und Spanier favorisiert werden.
In Ihrem Kader stehen mit Moritz Volz von Arsenal London und Sebastian Kneißl von Chelsea zwei Spieler, die schon in jungen Jahren ins Ausland gewechselt sind. Was lernen die beiden in England, was sie nicht auch in Bundesligaclubs mitbekommen könnten?
Ich habe mir während eines Englandaufenthalts ein Bild von der Arbeit bei Arsenal London gemacht. Berührungsängste zwischen Profi- und Nachwuchsbereich gibt es dort nicht. Da sitzt ein Moritz Volz am Mittagstisch mit einem Tony Adams zusammen. Die jungen Spieler haben täglich Kontakt mit den Stars. In Deutschland ist das undenkbar.
Warum ist dem so?
Weil viele Trainer den Standpunkt haben, dass die Jungen sich erst die Sporen verdienen müssten, um in die Nähe der Profis zu kommen. Das ist wohl Ansichtssache.
Wie sehen Sie das?
Ich sehe die englische Art und Weise absolut positiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen