: Familie soll haften
Die israelische Regierung erwägt, Familienangehörige von Terroristen des Landes zu verweisen. Die Öffentlichkeit ist von der Idee begeistert
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Die Nachricht von der Verhaftung rund 20 Familienangehöriger von Selbstmordattentätern und von der Zerstörung mehrerer Häuser war noch keine zwei Stunden alt, schon überschlugen sich förmlich die Reaktionen begeisterter Israelis, die sich per E-Mail an die Internetausgabe der Zeitung Ma’ariw wandten. „Schmeißt sie raus“, heißt es da. „Siedelt die ganze Stadt um“ und „Schickt sie zur Hölle“ waren die völlig ernst gemeinten Aufforderungen an die Regierung, die derzeit eine Umsiedlung der Väter und Brüder von Terroristen erwägt. Ein von der allgemeinen Euphorie mitgerissener Zeitungsleser schlägt gar vor, gleichzeitig auch Oppositionsführer Jossi Sarid ins Exil nach Gaza zu schicken.
Sarid gehört zu den wenigen Politikern Israels, die sich umgehend zu Wort meldeten, um die „Strafmaßnahmen gegen Unschuldige“ zu verhindern. „Es ist sehr besorglich mitanzusehen, wie die Terrorattentate das Einschätzungsvermögen der Regierung trüben“, meinte Jossi Sarid am Freitag. Selbst Außenminister Schimon Peres befürwortet den Transfer für die Angehörigen der Täter, allerdings erst „nachdem die Rechtslage geklärt ist“. Oberstaatsanwalt Eliakim Rubinstein wurde beauftragt, die Angelegenheit nun zu überprüfen.
Die einstimmige Begeisterung der Internet-Zeitungsleser mag auch in Zusammenhang mit einer am Vorabend vom ersten israelischen Fernsehkanal ausgestrahlten Berichterstattung stehen. Dabei ging es um eine feierliche Zeremonie, bei der Schecks an die Familien der palästinensischen Intifada-Opfer und -„märtyrer“ verteilt wurden. Einige hundert Menschen hatten sich am Mittwoch in Gaza versammelt, um die 15.000 Dollar pro Todesopfer und 25.000 für jeden Selbstmordattentäter in Empfang zu nehmen. Großzügiger Spender der „Wiedergutmachungszahlungen“ ist der irakische Präsident Saddam Hussein. Er soll seit Intifada-Beginn bereits zwei Millionen Dollar an die Hinterbliebenen gezahlt haben. Die Zeremonie wurde von der palästinensischen Autonomiebehörde veranstaltet, vertreten durch Verkehrsminister Imad Falougi.
Gestern Morgen hatte die Armee die Häuser zweier Täter der beiden jüngsten Terroranschläge zerstören lassen. Die Praxis der Häuserzerstörung ist nicht neu. Sie hatte sich allerdings bislang als wenig effektiv erwiesen, da die Häuser mit Hilfe der palästinensischen Behörden in kurzer Zeit wieder aufgebaut wurden. Die Verhaftung von Angehörigen und die derzeit diskutierte Umsiedlung, vermutlich nach Gaza, markieren hingegen eine neue Dimension im Antiterrorkampf. Bereits seit einigen Wochen beraten Verteidigungsministerium und Sicherheitsdienste über Alternativen zu den bisherigen Maßnahmen.
Die jüdischen Siedler begrüßten die neue Initiative von Regierung und Armee. Gleichzeitig warnte der Dachverband der Siedler jedoch davor, Gaza zu einem „Asyl für Terroristen“ werden zu lassen. Der Verband fürchtet um das Schicksal der jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen und fordert, die Familienangehörigen „des Landes zu verweisen“, womit sowohl Israel als auch die Palästinensergebiete gemeint sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen