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Kein richtiger Arier

Riesenwirbel um den Riesenstaatsmann Möllemann

BERLIN taz ■ Ein Vierteljahrhundert lang war er Tag für Tag noch vor den Hühnern aufgestanden, um als Interviewpartner mieser Frühstücksradiosender seinen Senf zur Lage der Nation zu geben, hatte sich aus Hubschraubern und Kleinflugzeugen gestürzt, in Libyen antichambriert, in einer deutsch-arabischen Freundschaftsgesellschaft mitgewirkt, öffentlich seine Sympathie für islamische Massenmörder bekundet und sich überhaupt große Mühe gemacht, Freunde in aller Welt außer in Israel zu gewinnen – und jetzt das: Nach einer Meldung des arabischen Senders al-Dschasira ist Jürgen W. Möllemann angeblich „jüdisch versippt“ und deswegen kein glaubwürdiger Ansprechpartner mehr für islamische Fundamentalisten.

Die Meldung basiert auf unbestätigten und bei näherer Betrachtung reichlich haltlosen Gerüchten. Danach handelt es sich bei Möllemanns Großmutter mütterlicherseits um eine gewisse Dora Ehrentraut, geb. Juskowski, deren Großvater väterlicherseits ein im frühen 19. Jahrhundert von Galizien nach Hessen eingewanderter Scherenschleifer jüdischer Konfession gewesen sein soll. Dass es lächerlich und aberwitzig ist, Sippenforschung im Stile der Nationalsozialisten zu betreiben, will Möllemanns arabischen Exfreunden nicht in den Kopf. In Tripolis, Teheran und Kairo ist der Araberfreund Möllemann jedoch praktisch über Nacht zur „persona non grata“ erklärt worden und hat Einreiseverbot. In Syrien wurde der Übersetzer einer Sammlung von Möllemann-Interviews unter Hausarrest gestellt. Selbst algerische Terroristen sind gegenüber CNN auf Distanz zu Möllemann gegangen, und im irakischen „Palast des Volkes“ in Bagdad sind nach Angaben von al-Dschasira alle drei Möllemann-Bilder abgehängt und durch Porträts des regierenden Diktators Saddam Hussein und seiner bewaffneten Enkelkinder ersetzt worden.

Die palästinensische Organisation „Tod dem Judenfreund“ hat inzwischen angekündigt, Möllemanns Schädel nach dem Sieg über Israel im Revolutionsmuseum ausstellen zu wollen.

Für Möllemanns Reputation in der islamischen Welt bedeuten diese Nachrichten das Aus. Man darf gespannt sein, wie sich der liberale Frühaufsteher jetzt verhält. Wird er der arabischen Welt einen Ariernachweis vorlegen? Oder wird er sie behutsam darüber zu belehren versuchen, dass der Rassenantisemitismus im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben sollte?

Von Gudio Westerwelles Spaßpartei liegt zur Zeit noch keine offizielle Stellungnahme zur neuesten Möllemann-Affäre vor.

GERHARD HENSCHEL

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