Von der Kunst, die Arbeitslosigkeit in Statistiken zu verstecken

Schein, Sein und Schwein

Bekanntlich verdanken wir die Wortschöpfung „versteckte Arbeitslosigkeit“ der Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel. Ihr neuer Begriff war auf die Arbeitsplatzsituation in der DDR gemünzt, wo bis zur Übernahme der Betriebe durch die Treuhand ein ständiger Arbeitermangel herrschte. Dieser aus proletarischer Sicht ideale Zustand wurde von der THA-Chefin in einen Überfluss an Arbeitskräften umgedeutet: In der DDR herrsche ebenfalls eine große Arbeitslosigkeit – nur sei sie listigerweise von den Kommunisten „versteckt“ worden.

Hintergrund einer solchen Umdeutung waren rückblickende „authentische Äußerungen“ wie etwa die eines ehemaligen Narva-Betriebsrates: „Nachdem wir in der Wende alle Leistungsschwachen entlassen hatten, schrieben wir rote Zahlen. Das waren Planerfüllungszahlen, also im Sozialismus immer was Positives!“ Auch in der Saarmunder LPG, wo ich mit meiner Freundin am 1. Dezember 89 zu arbeiten anfing, gab es jede Menge „Leistungsschwache“ (Querulanten, Alkoholiker etc.), die der LPG-Vorsitzende einst einstellen musste – es gab eine Arbeitspflicht und ein Recht auf Arbeit.

Zur Produktionssteigerung operierte man mit „sozialistischen Wettbewerben“ und einem „Verbesserungsvorschlagswesen“, mit dem die Produktionsrationalität durch die Arbeiter selbst gesteigert werden sollte. Von unten konterte man dagegen im Osten mit „Neuerungen“, die missliebige Kollegen wegrationalisierten – oder wie der letzte Minister für Handel, Flegel, erklärte: indem man ganze Arbeitsvorgänge einfach wegließ. Das war trotz Qualitätskontrollen möglich, weil es zu vielen Monopolbetrieben – „Stern-Radio“ zum Beispiel – keine Konkurrenz gab.

Deswegen kann man auch sagen, dass die DDR nicht an zu viel konsumistischer Unfreiheit, sondern an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich – zugrunde ging. Die dabei dort „versteckte Arbeitslosigkeit“ – die also bloß eine seit 1945 mühsam erkämpfte Faulheit war, d. h. eine mangelnde Angst vor Arbeitsplatzverlust und der damit einhergehenden Verelendung – kam also mit den von der Treuhand so genannten „Großflugtagen“, d. h. „Massenentlassungen“ zur Rentabilitätssteigerung der Betriebe, nur ans Licht! Birgit Breuel also war mithin eine (marktwirtschaftliche) Aufklärerin ersten Ranges. Verdunkelt wird ihr Wirken nur dadurch, dass heute andere die durch die Treuhandpolitik hervorgerufene Arbeitslosigkeit erneut wieder verstecken – in den Statistiken der Nürnberger Anstalt für Arbeit.

Vorbild ist hierbei die englische Regierung von Margaret Thatcher, die fünf Mal die Definition von Arbeitslosigkeit änderte, bis das offizielle Ergebnis einigermaßen für eine soziale Wirtschaftspolitik „sprach“. Auch in Deutschland werden seitdem ständig die Zahlen geschönt, so dass selbst in Orten und Dörfern, wo tatsächlich niemand mehr Arbeit hat, von einer Arbeitslosigkeit von „höchstens 20 Prozent“ gesprochen wird.

Nicht nur im Osten. So erzählte mir ein Redakteur der Nordsee-Zeitung, dass in Friesland die jungen Leute bis an den Bodensee fahren, um Arbeit zu finden. Sie würden sich jedoch zu Hause nie polizeilich abmelden, sodass dort „die Arbeitslosigkeit in Wirklichkeit sehr viel höher“ sei als aus der Statistik ersichtlich. Ähnlich verhält es sich mit arbeitslosen Ehefrauen von Arbeitsplatzbesitzern, mit Sozialhilfeempfängern und mit den zu immer mehr Arbeitsdiensten gezwungenen Arbeitslosen. Sie alle fallen damit aus der Statistik der Arbeitsämter über Arbeitsuchende heraus. Es entsteht ein Kommen und Gehen, ein Auf und Ab, das jedoch beständig durch politische Manipulationen im Sinne von Umdeutungen oder Neuinterpretationen nach unten optimistisch „verbessert“ wird.

Am Sinnvollsten geschieht dies natürlich durch permanentes Herabsetzen des Mindestlohns, also durch ein wachsendes Heer von „working poor“. Nichts anderes wollen uns die Wahlprogramme der großen Parteien in Bezug auf die „Schaffung neuer Arbeitsplätze“ sagen: Wir verstecken die Arbeitslosigkeit – flächendeckend! Schon 1976 konnte der Widerstandsforscher Michel Foucault den Satz von Clausewitz einfach umdrehen: „Die Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln!“

In den Medien – Hörzu! – wurde die „versteckte Arbeitslosigkeit“, das Schweinewort der Neunzigerjahre, derweil von anderen Begriffen überlagert – nach DM- und Euro-Umtausch vor allem von der „gefühlten Inflation“ und neuerdings auch wieder von einem „Gefühlsantisemitismus“ (in Bezug auf Walser und Möllemann). HELMUT HÖGE