: Wenn Diktatoren Erfolg haben
UNDP kritisiert, die Entwicklungspolitik habe ihr Augenmerk zu sehr auf die Märkte gelegt und zu wenig auf die politische Entwicklung. Die UN-Experten befürchten nun eine Abkehr von der Demokratie und eine Rückkehr zu autoritären Regimen
von KATHARINA KOUFEN
Ausgerechnet China wird maßgeblich dazu beitragen, dass die reichen Länder bei der Armutsbekämpfung doch nicht ganz so arm dastehen. Die Volksrepublik hat in den letzten zehn Jahren 14 Plätze auf der Weltentwicklungsskala der UNO übersprungen, die Zahl der Armen sank laut Weltbank seit Anfang der 80er-Jahre von 250 Millionen auf 34 Millionen. Vorbildlich. Nur: Die Volksrepublik ist nicht gerade ein Beispiel für eine funktionierende Demokratie. Russland hingegen, zumindest formell eine Demokratie, ist um 20 Plätze auf Rang 60 abgestiegen.
Eigentlich kein gutes Zeugnis für demokratische Systeme. Und doch meinen die Autoren des UNDP-Entwicklungsberichts, der heute in Genf vorgestellt wird: Entwicklung braucht Demokratie. Denn erstens ist Demokratie ein Menschenrecht und damit „Teil der menschlichen Entwicklung selbst“. Zweitens hilft Demokratie mit, die Menschen vor Katastrophen wie Hungersnöten zu schützen, weil freie Wahlen die Politiker unter Erfolgsdruck setzen. Und drittens „versetzt politische Freiheit die Menschen in die Lage, eine Politik zu fordern, die die sozialen und wirtschaftlichen Chancen erweitert“.
Die Autoren des Reports, den das Entwicklungsprogramm der UNO jährlich erstellen lässt, führen ihrerseits Beweisländer an: Polen rückte nach dem Ende des Sozialismus auf der Weltrangliste um acht, Ungarn um fünf Plätze nach vorne. Das autoritäre Paraguay hingegen rückte nach den Kriterien des HDI (Human Development Index) auf der Liste des Entwicklungsindex der UNDP um sechs Plätze nach hinten, ebenso Pakistan, das sich um vier Plätze verschlechterte. Allerdings geben die Autoren zu: „Zwischen Demokratie und menschlicher Entwicklung besteht kein automatischer Zusammenhang.“ Denn gerade in Entwicklungsländern liegt die tatsächliche Macht oft bei einer Elite: Wahlen finden nur zwischen zwei von Familienclans beherrschten Parteien statt, die Wahlergebnisse ändern nichts an der Lage der Bevölkerung.
Deutschland belegt, wie letztes Jahr, Platz 17 der UNDP-Liste. Norwegen ist weiterhin führend. Es folgen Schweden, Kanada und Belgien. Die USA liegen auf Platz 6, Frankreich auf Platz 12, Großbritannien auf Platz 13, die Schweiz auf Platz 11. Die 24 Schlusslichter auf der UNDP-Liste liegen nach wie vor im Afrika südlich der Sahara. Der Index errechnet sich aus Lebenserwartung, Bildung und Pro-Kopf-Einkommen. Hinzu kommen Indikatoren wie die Beteiligung der Frauen an wirtschaftlicher und politischer Macht. In Deutschland sind knapp ein Drittel der Bundestagsmitglieder Frauen, der europäische Durchschnitt liegt bei 16 Prozent.
In den letzten 25 Jahren, seit dem Ende der Militärdiktaturen in Südeuropa und Südamerika, sind 81 Länder demokratisch geworden. Auch sind in den 90er-Jahren weltweit 15.000 neue Nichtregierungsorganisationen (NGOs) entstanden. Sie vertreten Interessen, die in den Parteiprogrammen nicht vorkommen – oft sind das die Belange der Minderheiten. In 140 der weltweit etwa 200 Länder finden Wahlen mit mehreren Parteien statt.
Dennoch sagte nur jeder Zehnte von 50.000 Befragten in 60 Ländern, seine Regierung trage dem Willen des Volkes Rechnung. Und obwohl heute so viele demokratische Systeme wie nie zuvor bestehen, verschärfen sich die Gegensätze zwischen Arm und Reich. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung verfügt über so viel Einkommen wie die ärmsten 57 Prozent zusammen. Auch scheinen es alle Demokratien gemeinsam nicht zu schaffen, wie versprochen die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Vielmehr „wird es bei dem gegenwärtigen Schneckentempo 130 Jahre dauern“, stellen die UNDP-Autoren lakonisch fest.
Sie warnen vor einem „Rückfall in autoritäre Regime“ und fordern, „einen neuen Schwerpunkt darauf zu legen, den einfachen Leuten größere Einflussmöglichkeiten zu geben“. Wirtschaftliche und soziale Spannungen hätten zugenommen. Die Entwicklungspolitik habe ihr Augenmerk seit den frühen 80er-Jahren vor allem auf die Wirtschaft und die Märkte gerichtet, kritisiert UNDP-Chef Mark Malloch Brown. „Die politische Entwicklung ist die vergessene Dimension der menschlichen Entwicklung.“
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