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Händchen halten reicht nicht

Kein Skandal, höchstens ein kurzes, stockendes Atem-Intermezzo: „Kissing Jessica“ von Charles Herman-Wurmfeld erweitert die Beziehungskomödie um den lesbischen Faktor. Radikal ist das nicht

von ANNETT BUSCH

New York, Anfang des 21. Jahrhunderts: Jessica Stein, Protagonistin von „Kissing Jessica“, könnte Bridget Jones sein, stopft aber weniger Schokolade in sich hinein und agiert nicht ganz so trampelig. Familie und Freunde sorgen sich um die gewitzte, schlagfertige, 28 Jahre alte Zeitungsredakteurin, weil sie noch immer keinen Herrn an ihrer Seite hat. Die Mama versucht zu kuppeln, Jessica versucht zu daten, und beides scheitert. Bis eines Tages – ja, nur, sie ist eine Frau. Alles an Jessica ist wohlerzogen, studiert, high middleclass: spitzes Blend-a-med-Lächeln, schulterlanges Haar, üppiger Wortschatz, nervös-schusselige, ausgebremste Körperhaltung. Hobbys: Malen und Rilke. Ihr Leben ist darauf ausgerichtet, in gut bezahlten, normalen Bahnen zu verlaufen.

Jessica Stein begegnet also Helen Cooper. Einer jungen Dame, die sich ihr Leben als Galeristin verdient. Um Sex und Freunde muss sie sich keine Sorgen machen. Ihre Befriedigung hat sie sich aufgeteilt: der schwule Freund fürs Reden, der andere, der wohl nur zufällig eine dunkle Hautfarbe hat, für den Sex, und die Kunst fürs Image. Aber ihr ist langweilig. Denn was ist schon das Leben ohne wiederholte Selbsterfahrung und Grenzüberschreitung? Das gehört in der Kunstszene zum guten Ton. Helen will mal etwas mit Frauen anfangen, und der Freund ihres schwulen Freundes wirft ihr vor, dass sie's nicht ernst meint. „Lass doch!“ Nein, Spielverderber wollen wir nicht. Helen findet Jessica süß, aber Jessica zickt. Bis die beiden sich schließlich auf dem Sofa wiederfinden.

Jessica (Jennifer Westfeldt) und Helen (Heather Juergensen) haben sich ihre Rollen selbst auf den Leib geschrieben. Unzufrieden mit den Hausfrauen-, Mutter- und Geliebtenrollen, die sie bisher zugewiesen und angeboten bekamen, haben sie sich ihr Drehbuch selbst erarbeitet, ausgehend von einem Theaterstück. Ihre Grundfrage lautet: „Was unterscheidet die Beziehung zur besten Freundin von der zum Lover, Partner oder Ehemann?“ Genau, Sex, beziehungsweise kein Sex. Ergo: kann man ja mal ausprobieren. Ansonsten: alles wie immer. Zu sehen bekommt man: Händchen halten, Küssen und nebeneinander aufwachen.

Der Regisseur, Charles Herman-Wurmfeld, hat in der Geschichte der beiden wiederum sich gefunden, da er sich mit Anfang zwanzig in seinen besten Freund verliebte. Der war allerdings von seinem Heterodasein nicht abzubringen. Dafür hat Herman-Wurmfeld nun sein Debüt realisiert und findet, er habe „eine sehr radikale Story“ verfilmt, „die festgefahrene Erwartungen zurückweist und sämtliche, scheinbar vorhersehbaren Ereignisse auf den Kopf stellt“. Wahrscheinlich hat er bisher einfach die falschen Filme gesehen.

Nach der Radikalität von „Kissing Jessica“ wird man lange suchen. So wie „Bridget Jones“ auf dem Weg Richtung Leinwand alle Bösartigkeit verloren hat, bleibt von „Kissing Jessica“ nicht mehr als eine Beziehungskomödie inklusive Homovariante. Am Ende haben alle ihre Lektion gelernt, ihre Toleranz bewiesen und fühlen sich gut dabei. Auch die gestrenge Mama aus gutbürgerlichem jüdischem Hause, die vielleicht einer nicht stattfindenden Hochzeit nachtrauert. Kein Skandal, höchstens ein kurzes, stockendes Atem-Intermezzo. Und eigentlich will Jessica ja gar keinen Sex mit Helen, sondern einfach nur kuscheln und eine gute Freundin – und, vielleicht, ja doch lieber einen Mann. Das „Sex and the City“-Rad dreht sich so lange, bis alle ihr Deckelchen gefunden haben. Und die Moral von der Geschicht? Jessica zieht sich jetzt flippiger an, auch mal etwas Kurzes, und hat eine neue Frisur.

„Kissing Jessica“, Regie: Charles Herman-Wurmfeld, USA 2001, 100 Minuten. Mit Jennifer Westfeldt, Heather Juergensen, Scott Cohen u. a.

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