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Kunst zum Architekturkongress in Berlin (3): In der Galerie Joanna Kamm bieten Sybil Kohl, Philipp Oswalt und Albrecht Schäfer einen Führer durch die „verlassene Stadt“ an. Im Leerstand Ressourcen der Architektur entdecken

Keine andere Stadt in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren so schnell gewachsen wie die „verlassene Stadt“. War sie schon 1989 für 900.000 potenzielle Bewohner ausgelegt, so sind es heute 2,3 Millionen. Trotz dieser Schwindel erregenden Beschleunigung des Wachstums, fehlt es ihr dennoch nicht an Merkmalen identitätsstiftender Vergangenheit: an ihren reichen Bestand von denkmalgeschützten Schlössern reicht keine andere Stadt heran. Auch die soziale Infrastruktur wuchs, Schulen und Kindergärten kamen dazu. Nicht zuletzt sorgt für Erstaunen, wie schnell jüngste Architekturprojekte in ihr Aufnahme fanden: Einkaufszentren, Multiplexkinos, Autoverkaufshäuser.

Aufgelistet und analysiert hat den Bestand der „verlassenen Stadt“ nun erstmals das Team Kohl/Oswalt/Schäfer. Wie in einem Immobilienbüro haben sie die Wände in der Galerie Kamm mit fotografischen Ansichten der Liegenschaften in der „verlassenen Stadt“ tapeziert. Windschiefe Fachwerkhäuser, Wassertürme und Fabrikburgen der Gründerzeit sind ebenso dabei wie Versorgungswürfel und Plattenbauten. Doch das Wichtigste ist eine kleine Publikation, ein Führer durch die „verlassene Stadt“. Klingt alles schwer nach Fake? Von wegen, jedes einzelne Haus der Stadt gibt es, abgebildet nach Auktionskatalogen, selbst eine Preisliste existiert. Nur vor dem Plan, der im hinteren Raum die Lage der Häuser mit roten Punkten markiert, muss man etwas die Augen zusammenkneifen und mit dem Maßstab schummeln: Denn über ganz Ostdeutschland sind die Punkte verstreut.

Das Motto von der „Ressource Architektur“, unter dem der UIA-Weltkongress zur Zeit in Berlin zusammenkommt, haben Kohl, Oswalt und Schäfer wörtlich genommen. Wie in den asiatischen Kampfsportarten, in denen man versuchen muss, die Kraft hinter dem Schlag des Gegners in Energie der Gegenwehr umzulenken, kehren sie die Vorzeichen um. Leerstand, Verfall, Sanierungsbedarf, Denkmalschutz, Konkurs, Investionsruinen, Fehlplanung, Überkapazitäten – alle diese hysterischen Vokabeln aus dem Schreckenskatalog des Stadtplaners signalisieren ihnen: Hier fehlt Bewegung.

In solcher Umkehrung von Denkbewegungen sind alle drei versiert. Philipp Oswalt, als Architekt, Journalist und umtriebieger Theoretiker unterwegs, hat schon in seinem Buch „Berlin – Stadt ohne Form“ versucht, Leere, Zerstörung und Chaos das Bedrohliche in der Entwicklung der Stadt zu nehmen und sie als brauchbare Energien zu akzeptieren.

Die Bildhauerin Sybil Kohl hat sich in Installationen mit dem Abseits der Architektur beschäftigt, mit Rückseiten und verborgenen Räumen, und nach ihrem Einfluss auf die psychische Struktur des Menschen gefragt. Albrecht Schäfer schließlich hat die immer wieder verweigerte Urbanität des Alexanderplatzes als einen Materialfundus betrachtet, an dem sich stets neue Suchbewegungen nach Utopie entzünden. Dass man alle diese Kulissen des Zeitgeistgefühls übereinanderblenden kann, macht den Reiz des Spiels aus.

KATRIN BETTINA MÜLLER

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