Ein Bayer wird Chef

Die SPD-Bundestagsfraktion wählt Ludwig Strieder zu ihrem neuen Vorsitzenden: Ein bayerischer Poltergeist mit hoher Integrationskraft

BERLIN afp/dpa/ap ■ Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl hat die SPD-Bundestagsfraktion Ludwig Stiegler zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Der bisherige Fraktionsvize erhielt gestern in Berlin 191 Stimmen. 22 SPD-Abgeordnete votierten gegen ihn, es gab sechs Enthaltungen. „Mein Ehrgeiz ist, alles zu tun, damit wir am 22. September erfolgreich sein werden“, sagte Stiegler nach seiner Wahl. Ob er das Amt auch nach dem 22. September behalten wird, ist offen. Im Freistaat erhofft sich die SPD jetzt einen zusätzlichen Schub im Wahlkampf.

Stiegler tritt die Nachfolge von Peter Struck an, der gestern als Verteidigungsminister vereidigt wurde. Strieder sagte, er sei „unheimlich stolz und motiviert“, seiner Partei an dieser Stelle mithelfen zu können. Zu möglichen Regierungskonstellationen nach der Wahl sagte Stiegler, er stehe für eine „moderne Koalition“. Er wolle, dass die SPD die stärkste Fraktion werde.

Der bekennende Linke gilt als ein Politiker mit Ecken und Kanten. Freunde wie Gegner kennen den 58-Jährigen als Sozialdemokraten mit großem Herz, aber auch als Poltergeist und bayerischen Haudrauf. Anfang dieses Jahres erregte Stiegler größere Aufmerksamkeit mit dem Vorwurf, die Weimarer Vorgängerparteien von Union und FDP hätten „historische Schuld“ am Aufstieg Adolf Hitlers gehabt. Stiegler hatte sich über die Weigerung der beiden Oppositionsparteien geärgert, im Streit um das NPD-Verbotsverfahren die neuerliche Bundestagsstellungnahme mitzutragen. Auf wütende Proteste legte Stiegler am nächsten Tag nach und verwies darauf, dass die bürgerlichen Parteien schließlich 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hätten.

Viele schätzen bei schwierigen innenpolitischen Fragen Stieglers Verhandlungsgeschick und Integrationskraft. So vermittelte er in der Debatte über das Sicherheitspaket zwischen Innenminister Otto Schily (SPD) und dem grünen Koalitionspartner. Er gilt außerdem als Architekt des Zuwanderungsgesetzes.

Stiegler gehört seit 1980 dem Bundestag an. Seit 1987 ist er – mit einer zweijährigen Familienpause – Chef der bayerischen SPD-Landesgruppe im Bundestag. Außerdem ist er Vizeparteichef in Bayern und seit 1998 Vizevorsitzender der SPD-Fraktion.