: Rotweinkaubonbons fürs Herz
Alibi für Currywurst-Esser oder sinnvolle Nahrungsergänzung in Zeiten des Mangels, wegen Selen-armer Böden und hektischer Menschen? Das sogenannte Functional Food – Lebensmittel mit besonderem Gesundheitsnutzen – liegt im Trend
von SANDRA WILSDORF
Omega 3, LC 1, ACE: Was klingt, wie aus dem Chemiebaukasten, soll gesund sein. „Functional Food“ heißt der zwischen Pharma- und Lebensmittelindustrie umkämpfte Trend, der Brot mit speziellen Fettsäuren, Yoghurt mit Bakterien oder Salz mit Jod versieht. In Deutschland geht es gerade erst los, in Japan isst längst jeder Zweite Lebensmittel mit spezifischem Gesundheitsnutzen – und teilweise zweifelhafter Natur.
Rotweinkaubonbons fürs Herz, Antikrebsbier und folsäurehaltige Milch, die „Einstein heißt“ und gut sein soll fürs Gehirn: Schon seit Anfang der 90er Jahre will die japanische Regierung mit Hilfe des „Food for Specified Health Use“, kurz FOSHU, die Kosten des Gesundheitswesens im Zaum halten. Die Bevölkerung, die weltweit die höchste Lebenserwartung hat, soll möglichst gesund altern. In den USA ist der Milch Calcium, Vitamin A, D oder alles drei zugesetzt, in Dänemark führen seit zehn Jahren fast alle Bäckereien das mit Omega 3-Fettsäuren angereicherte Brød, in der Schweiz ist Trinkwasser mit Fluor versetzt.
Wenn viel zu viel ist
In Deutschland hat Ende der 90er Jahre der mit dem Lactobacillus johnsonii versetzte Joghurt als LC 1 von Nestlé die Kühlregale erobert, weil die Menschen ihm glaubten, dass er dem Darm gut tut. Und seit Aldi auch Vitamine und Mineralien verkauft, verzehren etwa 70 Prozent der Deutschen irgendwie angereicherte Lebensmittel, allerdings inklusive Vitaminsäfte und Frühstücksflocken. Der Markt wächst. In Hamburg hat deshalb die „Kampffmeyer-Gruppe“, zu der wie Diamant-, Aurora-, Gloria- und Rosenmehl auch Müller‘s Mühle gehört, eine eigene „Apotheke“ gegründet. In der „Kampffmeyer Food Service GmbH“ in Wilhelmsburg wird in erster Linie Getreide veredelt.
Da wird beispielsweise besonders proteinreiches Mehl hergestellt, indem die kleinsten Körner aussortiert werden, die mehr Eiweiß enthalten als die Großen, und der Bäcker backt ein „ProLife Multi-Protein-Brot“ daraus. Aus Mehl aus den USA, das wegen der anderen Bodenbeschaffenheit mehr Selen enthält als deutsches, entsteht ein „Korn-Vital“-Brot und verspricht: das „stärkt Deine Abwehrkräfte“.
Doch nutzt das wirklich dem Verbraucher oder nur den Herstellern? Das kommt ganz auf den Menschen und auf das Produkt an. Weil beispielsweise fast alle Deutschen zu wenig Jod zu sich nehmen, hat sich Jodsalz durchgesetzt. Weniger bekannt ist das Folsäure-Problem. „95 bis 98 Prozent der Deutschen nehmen zu wenig davon auf“, sagt Michael Gusko, Geschäftsführer der Food Service GmbH. Folsäuremangel aber erhöht das Herzinfarktrisiko und die Gefahr, dass Mütter ein Kind mit Neuralrohrdefekt zur Welt bringen. In den Niederlanden erhielten deshalb Frauen im gebärfähigen Alter Folsäure-Tabletten, in den USA sei Mehl grundsätzlich mit Folsäure angereichert.
Macht ein Frühstück aus Omega 3-Brot, ACE-Trunk und Magnesiumtablette Currywurst-Esser und Colatrinker fit für einen fruchtlosen und bewegungsarmen Tag? „Es sind gerade die, die auch einen überdurchschnittlich hohen Obst- und Gemüsekonsum haben, die Functional Food konsumieren“, sagt Gusko. Denn die wüssten, was sie bräuchten. Nahrungszusätze seien zwar nur „die zweitbeste Lösung“, aber wer esse schon seine fünf Portionen Obst und Gemüse täglich und zweimal pro Woche Fisch, immer nur Vollkornbrot und bereite sein Gemüse auch noch so zu, dass es keine Vitamine verliert?
Die Verbraucher-Zentrale ist bei den „Funktionslebensmitteln“ hingegen skeptisch. „Es wird suggeriert, dass man gesünder lebt, wenn man ein bestimmtes Lebensmittel isst“, sagt Armin Valet. Oft sei das der Versuch, einem eher ungesunden Produkt ein gutes Image zu verpassen, beispielsweise bei Vitaminbonbons.
Statt Omega-Brot empfiehlt der Ernährungsberater Fisch, denn die positive Wirkung der Lebensmittel sei nicht in klinischen Studien, sondern lediglich in Tierversuchen nachgewiesen. Zweifel hegt er auch an den probiotischen Joghurts: „Joghurt ist an sich ein gesundes Produkt.“ Bei den probiotischen Joghurts seien die Bakterien zwar besser angepasst, aber man dürfe ihre Wirkung nicht überschätzen. „Damit sie wirken, muss man über Jahre immer den gleichen Stamm zu sich nehmen.“ Die Hersteller binden so Kunden an ihren speziellen Joghurt.
Vitamine fürs Image
Und letztlich sind einige der zugesetzen Stoffe sogar schädlich. „Eine finnische Studie hat beispielsweise gerade nachgewisen, dass isoliertes Betacarotin bei Rauchern krebsfördernd wirkt.“ Und gerade viele Raucher trinken Vitaminsäfte, um ihrem Körper zu geben, was die Zigaretten ihm nehmen. Es bestehe auch gar keine Notwendigkeit für den Zusatz, denn in Deutschland sei die Vitamin A-Versorgung „mehr als ausreichend“.
Für ein besonders sinnloses Produkt hält Valet die ACE-Drinks aus dem Kühlregal. Denn die hätten „viel Zucker, wenig Saft“ und dafür viel Vitamin C, an dem in Deutschland absolut kein Mangel herrsche.
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