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Mondelfen in Blau und Weiß

Spielen nach Gedächtnis und Gehör: Die Wasserlichtspiele in Planten un Blomen sind ein beliebtes Spektakel bei Hamburgern und Touristen – ein Besuch bei den Wasser- und Lichtmusikern

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Zwei große Partituren stehen auf der Wasserorgel und dem Lichtklavier. Mit den waagerechten Linien, roten und blauen Zacken, den gelben und grünen Bögen, Buchstaben und Zahlen sehen sie aus wie Kompositionen Neuer Musik, die weniger aus Noten, als aus graphischen Mustern bestehen. Traditionell steht jedoch keine Neutönerei auf dem Programm der auch in diesem Sommer praktizierten Wasserlichtspiele im Parksee von Planten un Blomen. Die zwei Partituren skizzieren vielmehr den Ablauf für das Licht- und Wasserkonzert des Abends; gespielt wird Bedrich Smetanas Moldau.

Seit zwanzig Jahren sitzt Tanja Naini im Wechsel mit Kollegen hier am Lichtklavier. Sie hat bereits zahlreiche Werke der klassischen Musik für das Wasserlichtspiel arrangiert. Für die Auswahl der Stücke gibt die ausgebildete Pianistin das Kriterium „Wassertauglichkeit“ an. Wie das Wasser, so müsse auch die Musik „ruhig, harmonisch und erfrischend“ sein und vor allem dynamische Klangfülle besitzen, die das Rauschen der Wasserfontainen übertöne. Bedrich Smetanas romantische Programm-Musik Die Moldau (1874) passt da natürlich ausgezeichnet.

Jährlich lockt das Spektakel 300.000 Besucher bei Einbruch der Dunkelheit in den Park. In den Partituren werden die bewegten Bilder der Arrangements aufgeschlüsselt: Lange Bögen für langsam steigende und sinkende Fontainen, kleine Kurven für kurze Spritzer, eine Waagerechte für gleich bleibende Wasserstrahlhöhe. Auf dem 95 Tasten des Lichtklaviers mischt Naini aus den Grundfarben stimmungsvolle Bilder und komponiert mit den 762 Scheinwerfern stehende, wandernde oder blinkende Leuchteffekte. Die Klaviertastennummer notiert sie in der Partitur, und nur an wenigen Stellen gibt sie die genaue Notenlänge an. Denn gespielt wird live und nach Gehör – von einer Lichtpianistin und einem Wasserorganisten. Die Musik kommt vom Band.

Übrigens könnte diese Anlage nicht computergesteuert werden. Denn wenn dann mal eine der 99 Düse ausfiele oder der Wasserdruck nachließe, könnten die Spieler nicht mehr improvisieren und nachkorrigieren.

Wie bei der Live-Aufführung von Smetanas Moldau. Tanja Nainis Kollege sitzt an der Lichtorgel und zieht zwei Hebel für zwei Fontainenbögen im See hoch. Vom Lichtklavier werden sie in tiefes Blau getaucht. Als das Moldau-Motiv einsetzt, zieht der Organist die Hebel mit den Buchstaben K und L; das sind die zwei Fontainen, die zusammen ein hohes Tor aufspannen. Kurz vor Ende des Themas fährt er die Wasserdüsen herunter, die Fontänen fallen in sich zusammen, und Tanja Naini schaltet das Licht aus.

Erst wenn das Thema wieder beginnt, lassen die beiden Licht und Wasser wieder in die Höhe schnellen. Bei einer ländlichen Polka blinken schließlich kleine bunte Blumeninseln aus Licht in der Teichmitte auf – eine der wenigen Stellen, für die Naini auf den Tasten eine „Melodie“ komponiert hat. Ein Kollege, erzählt Naini amüsiert, während die Polka leiser wird und Mond-Elfen auftreten, meine, an diese Stelle gehöre blaues Licht. Entschieden schaltet sie das Licht auf weiß, und an der Wasserorgel werden die Knöpfe T und Z für die „Tänzerinnen“, gedrückt: Die Algen trüben das Licht gelblich, bemerkt die Pianistin; nur in ihrem Garten, flüstert sie ihrem Kollegen zu, da habe sie dieses Jahr wegen des vielen Regens keine Probleme mit den Algen. Das Licht wechselt von Weiß zu Rosa und Grün.

Bei der Wiederkehr des Moldau-Motivs wird die Illumination düsterer: Die Moldau nähert sich den St.-Johann-Stromschnellen südlich von Prag, und der bisher eher ruhige Job am Lichtklavier verwandelt sich in ein rasantes Solo, energisch werden die „Noten“ umgeblättert. Doch fingerfertig lenkt der Steuermann an den Hebeln den Wasserfluß in die gelb-orangen Wasserbögen des goldenen Prags. Als die Moldau in die Ferne entflieht, kehrt wieder Ruhe ein im Steuerraum, und nach dem letzten Paukenschlag wird die Wasser-Licht-Anlage ausgeschaltet und abgedeckt. Feierabend für die Licht- und Wasser-Musikanten.

Die Moldau: noch bis 31. Juli. Im August: Party 2002 (F. Léhar, A. Vivaldi, L. Bega, J. Cocker, A. Bocelli). Täglich 22 Uhr am Parksee in Planten un Blomen. www.plantenunblomen.hamburg. de

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