: Höhere Steuern haben Konjunktur
Plötzlich reden schwarze und rote Wahlkämpfer über das Anheben von Steuern. Denn die Krise von Gewerbesteuern und Städten schockt alle. Warum die Kommunalsteuer wegbricht, weiß keiner genau – auch nicht die Kommunen selbst
von CHRISTIAN FÜLLER
Oskar hat’s einfach. Ohne jede parteipolitische Rücksicht kann Oskar Lafontaine steuerpolitische Vorschläge ventilieren. Also schlug der ehemalige Finanzminister vor, den Steuersatz für Industriebosse anzuheben: „Pro 100.000 Euro um einen Prozenpunkt mehr bis auf, seien wir großzügig: 90 Prozent“.
So verrückt wie Lafontaine sind die Parteien natürlich nicht. Dennoch wird in den jüngsten Äußerungen ein ganz neuer Ton angeschlagen: Steuererhöhungen sind plötzlich wieder im Trend. Jüngstes Beispiel ist Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, der die Republik ganz nonchalant auf einen Hammer vorbereitete: Die dem Wähler in Aussicht gestellte große Steuerreform der Union wird es nicht geben, jedenfalls nicht 2004.
Aufgeschreckt durch die drastisch sinkenden Steuereinnahmen und die weiter lahmende Konjunktur ist von Steuersenkungen nirgends mehr die Rede. Im Gegenteil: Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) plädiert offen dafür, „unnötige Geschenke von Rot-Grün“ wieder einzukassieren. Sein rheinland-pfälzischer Kollege Gernot Mitter (SPD) will Tricks mit der Mehrwertsteuer einschränken.
Ursache für den steuerpolitischen Linksruck sind dramatisch sinkende Gewerbesteuern – die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. 2001 schrumpften die Einkünfte der Kämmerer um 20 Prozent, im Jahr 2002 wird ein Rückgang um weitere 15 bis 20 Prozent erwartet. Mit jeder Hiobsbotschaft aus Städten und Gemeinden, wo Schwimmbäder und Bibliotheken schließen, wird den Verantwortlichen deutlich: Die BürgerInnen vor Ort glauben keinem Politiker mehr etwas, wenn die kommunale Daseinsvorsorge vor ihren Augen zusammenbricht.
Die Politik ist unfähig, angemessen auf die Krise der Städte zu reagieren, weil keiner genau weiß, warum die Gewerbesteuereinnahmen so rabiat sinken. Der Einbruch habe – neben dem Hauptfaktor, der Konjunktur – eine Vielzahl von Ursachen. So relativiert die Finanzexpertin des Deutschen Städtetages, Monika Kuban, allzu platte Wahlkampfrhetoriken. Kubans Problem: Die Unternehmen verraten auch ihr nicht, welche Steuersparmodelle sie anwenden – und selbst die Kommunen verpetzen die ansässige Wirtschaft nicht. Keine BürgermeisterIn will es sich mit Vielleicht-bald-wieder-Steuerzahlern verderben.
Eine begründete Spekulation der Städtelobby lautet so: „Das Knacken der Deutschland AG hat unerwartete Folgeeffekte.“ Rot-Grün hatte es nämlich, zur Überraschung selbst der Industriebosse, mit der Unternehmenssteuerreform ermöglicht, Beteiligungen steuerfrei zu veräußern. Das wirkt sich zwar nicht direkt auf die Gewerbesteuer aus – denn die fällt vor Ort ganz unabhängig davon an, wem der Betrieb gehört. Indirekt ist die Gewerbesteuer aber offenbar dennoch betroffen.
Denn die durchaus gewollte Neuordnung der deutschen Industrie eröffnet es den Steuerabteilungen der Konzerne stärker als bisher, auf das alte Mittel der „gewerbesteuerlichen Organschaft“ zurück zu greifen: Tochterunternehmen verrechnen dabei Gewinne und Verluste so, dass am Sitz der Muttergesellschaft kaum Steuern anfallen. Rot-Grün hat die Organschaft, die lange vor der Regierung Schröder/Fischer eingeführt wurde, inzwischen eingeschränkt. Für die aktuelle Finanzkrise der Kommunen bringt das aber wenig. Die Neuregelung gilt erst für das Steuerjahr 2002, derzeit wird 2001 abgerechnet.
Die Steuerpolitiker unterbreiten unverdrossen weitere Vorschläge. Der jüngste klingt wie ein Märchen. Steuerflüchtlinge sollen rund 100 Milliarden Euro nach Deutschland heimholen dürfen – straflos, sofern sie eine niedrige Pauschalsteuer entrichten. Dazu würden sich selbst die Fraktionschefs von Union und SPD, Friedrich Merz und Ludwig Stiegler, die Hand reichen. Und die sind sich sonst spinnefeind.
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