: In der Endlosschleife
Eine halbe Million Menschen unter 25 haben keinen Job. Experten nennen die Lehrstellensituation „extrem dramatisch“. Für viele Jugendliche gibt es keinen Ausweg mehr aus den Warteschleifen
Wie ein hoffnungsloser Fall sieht sie nicht gerade aus: Evi, 21, arbeitslos. „Ich habe zwei, drei Mal in der Berufsschule gefehlt“, sagt sie, „als eine Arbeit angesetzt war.“ Aus ihren Augen lugt nicht Hoffnungslosigkeit, sondern eher der Schalk.
In Deutschland gibt es nach den jüngsten Zahlen 494.900 Arbeitslose, die unter 25 Jahre alt sind. 130.000 Bewerber sind auf der Suche nach einer Lehrstelle. Dass im Sommer eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage klafft, ist nichts Ungewöhnliches. Aber zum Vorjahr ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen um 21 Prozent gestiegen. Experten sagen einhellig, die Situation sei „extrem dramatisch“. Auch der Kanzler hat erkannt, dass Konjunktur und Pleitewelle die Chancen Jugendlicher wieder empfindlich einschränken. Daher hat er einen Appell an die Wirtschaft gerichtet (Kasten 1).
„Das Arbeitsamt hat mich da reingesteckt“
Evi hat einen erweiterten Hauptschulabschluss. Nach der Penne jobbte sie. Oder „tat nichts“. Dann ein dreimonatiger Schnupperkurs im Bildungswerk Kreuzberg, endlich wurde ihr klar, was aus ihr werden sollte: Floristin. Aber weil sie schon eine Lehrstelle verloren hatte, blieben 20 Bewerbungen ohne Erfolg. Jetzt macht sie einen zusätzlichen Kurs, der heißt Profilierungkurs. Warum? – „Weil mich das Arbeitsamt da reingesteckt hat.“
Heidi Gellhardt ist regelrecht übellaunig. Jugendarbeitslosigkeit sei doch nur deshalb kein politischer Skandal, sagt sie, weil es für arbeitslose Junge eine Vielzahl an Angeboten gebe. Gellhardt ist Projektleiterin des Vereins Arbeit & Bildung, der arbeitslose Jugendliche berät. Allein in Berlin gebe es 49 berufsbildende Schulen und 32 Oberstufenzentren. „Das ist wie eine große Waschmaschine, in die Jugendliche in Maßnahmen reingesteckt werden“, sagt Gellhardt. „Viele bleiben darin hängen.“
Die Karrieren der Risikogruppen der „jungen Ungelernten“, aus den 70er-Jahren sattsam bekannt, sehen heute so aus (Kasten 2). Ohne Schulabschluss geht es in schulische Fortbildungen. Mit 25 kommt der bruchlose Wechsel zu Weiterbildungen für Erwachsene – und schon sitzen sie im nächsten Topf. Einige arbeitslose Schulabgänger werden so in Endlosschleifen geschickt. Beschäftigungstherapien ohne Erfolgsaussichten.
Dass sich Jugendliche ohne Vorbereitung und Ziele in den Maßnahmenpool stürzen, sollen Projekte wie das von Heidi Gellhardt verhindern. Sie versucht mit den Teens und Twens erst einmal herauszufinden, was sie wollen. Viele Jugendliche landen nämlich eher zufällig in ihren Maßnahmen – weil der Kumpel dort ist oder weil es gerade um die Ecke liegt. Die Jugendlichen sind dann unter- oder überfordert. Oder wissen gar nicht, was sie in ihrer Maßnahme sollen. „Solche falschen Entscheidungen motivieren natürlich gar nicht“, sagt Gellhardt.
Ein Phänomen, das ständig auftaucht, ist etwa der „freiwillige Rückzug“. Jugendliche erleben den Misserfolg mit Bewerbungen bei Eltern und Geschwistern. Ihre Reaktion: „Ich kriege ja doch nichts, drum mache ich nichts!“
Natürlich gibt es auch die jungen Leute, „die schlicht keinen Bock haben“. Diese Jugendlichen sehen keine Veranlassung zu arbeiten, ihre Familien tragen sie finanziell mit. „Der Wendepunkt kommt dann“, so berichten die Berater, „wenn materielle Wünsche auftauchen wie ein Auto. Irgendwie versuchen sie dann zu Geld zu kommen.“ Einigen gibt dies der Anstoß, sich eine Ausbildung zu suchen. Andere arbeiten als Hilfsarbeiter, weil man als Azubi weniger verdient – und besiegeln so ihr Schicksal: Sie gelten dann ihr Leben lang als Ungelernte. Bei Mädchen findet sich ein anderes Phänomen: Sie verheiraten sich früh – um vor dem Problem der fehlenden Ausbildung zu fliehen.
Frühe Arbeitslosigkeit hinterlässt Spuren
Die frühe Arbeitslosigkeit geht an den Jungen nicht spurlos vorüber. Die jungen Leute bringen nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit oft die Tugenden wie Pünktlichkeit nicht mehr mit. Oder es fehlt ihnen an Durchhaltevermögen. Heidi Gellhardt erlebte in der Jugendberatungsstelle, dass ein junger Mann endlich den Ausbildungsplatz fand, den er jahrelang suchte. „Wir waren mit ihm auf Wolke sieben.“ Nach acht Monaten erschien er wieder bei der Beratung: „Ich hör auf, ich pack das nicht“, sagte er.
Solche Fälle kennt auch Anke Zowayed. Sie ist Deutschlehrerin des Bildungswerks Kreuzberg, wo auch Evi schon Programme absolvierte. Das Bildungswerk bietet überbetriebliche Ausbildungen oder auch kurze Profilingskurse an – vor allem für sozial Benachteiligte: Migrantenkinder etwa. Wer einen Hauptschulabschluss besitzt, hat kaum eine Chance in der Privatwirtschaft eine Ausbildung zu bekommen. Auch Beraterin Gellhardt warnt Lehrstellensuchende vor der Illusion, nur auf das eine Berufsziel zu starren. „Ich erlebe junge Leute, die für ihren Traumberuf die Fähigkeiten mitbringen – und trotzdem nicht reinkommen.“ Die Anpassung an den Markt müssen aber auch die Ausbildungszentren vollziehen, um den Jugendlichen die Maßnahmenmaschinerie zu ersparen. Zowayed vom Bildungswerk gibt zu: „Es wäre teuflisch, die Jugendlichen zwei Jahre auszubilden, nur damit sie dann merken, dass alles für nichts war.“ Mit Praktika lässt das Bildungswerk die Azubis erste Kontakte mit der Wirtschaft knüpfen, einige finden dabei die zukünftige Stelle.
Alle Bemühungen sind freilich vergeblich, wenn der Arbeitsmarkt nicht mitspielt. Der Lehrstellenmangel geht mit der wirtschaftlichen Malaise einher. Nur ein Viertel der deutschen Unternehmen bildet Lehrlinge aus. In Berlin wurden im Jahre 2000 noch 18.000 Ausbildungsstellen angeboten, dieses Jahr waren es gerade 10.471. Die Wirtschaft will keine Leute ausbilden, die sich nicht beschäftigen kann. „Wer jetzt ausbildet, trägt dazu bei, den zukünftigen Fachkräftemangel zu decken“, appellierte gerade der Vorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, an die Unternehmen.
Auch Deutschlehrerin Zowayed fordert: „Die Wirtschaft muss ran!“ Und Evi, die direkt Betroffene, sagt: „Ich will das Meisterdiplom machen, dass ich später Lehrlinge ausbilden kann.“
Simon Jäggi
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