: Der Populist in Erklärungsnot
aus Wien RALF LEONHARD
Jörg Haider hat ein Problem. Ein zweifaches. Seine Freiheitlichen sind, seit sie vor zweieinhalb Jahren mit der konservativen ÖVP die Regierung bildeten, von 27 Prozent auf 18 bis maximal 22 Prozent in der Wählergunst abgesackt. Schlimmer aber noch ist, dass der einst unumstrittene Star der FPÖ von seinen ehemaligen Fans nicht mehr ernst genommen wird. Die FPÖ-Minister dagegen rangieren in den Politiker-Hitparaden, wie sie von den Magazinen regelmäßig erhoben werden, deutlich vor ihm.
Allen voran Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der sich auch in der Öffentlichkeit eine eigene Meinung leistet. Aber auch Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, die jüngst als Parteichefin bestätigt wurde, hat respektable Werte. Viele trauen ihr sogar den Kanzlerjob zu.
Selbst Verteidigungsminister Herbert Scheibner, der mit der Bestellung von zwei Dutzend Eurofightern für den größte Rüstungsauftrag der Nachkriegsgeschichte verantwortlich ist, erfreut sich großer Beliebtheit – obwohl die Mehrheit der Österreicher den Kauf der Abfangjäger ablehnt.
All diesen FPÖlern ist gemeinsam, dass sie durch ihre Ressortarbeit – was immer man im konkreten Fall davon halten mag – in den Medien präsent sind. Haider hingegen wird von der Öffentlichkeit immer mehr als Hanswurst wahrgenommen, der ohne Rampenlicht nicht auskommt. An seinem Schreibtisch in der Landesregierung hält es ihn nicht. Ständig ist er auf Tour und lässt in Kärnten kein Event aus. Egal ob es gilt, den Tennisdamen beim Fed-Cup in Pörtschach gegen die Kroatinnen die Daumen zu drücken oder den Veteranen des Abwehrkampfes von 1920 die deutschnationale Gesinnung zu stärken – der Landeshauptmann ist immer dabei.
Dementsprechend bescheiden fällt nach über drei Jahren seine Bilanz aus. Kärnten ist unter den neun Bundesländern das Schlusslicht, was Wirtschaftswachstum und Lohnniveau betrifft. Und der groß angekündigte Feldzug gegen Privilegien und Parteibuchwirtschaft sieht in der Praxis so aus, dass sozialdemokratische Funktionäre durch bedingungslose Haider-Freunde ersetzt werden. Mangelnde Erfolge werden dann durch aufwändige Werbekampagnen kompensiert.
Wohl kein Ereignis hat dem Image Haiders so geschadet wie sein Shakehands mit Saddam Hussein im vergangenen Februar. Die angebliche Privatreise in den Irak und weitere Ausflüge des Landeshauptmanns nach Libyen und in den Nahen Osten sind seit einigen Monaten Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Kärntner Landtag. Die Kommission hat zu prüfen, ob öffentliche Gelder für die außenpolitischen Profilierungstrips Haiders geflossen sind.
Ungereimtheiten gibt es zur Genüge. Nicht einmal der Zweck der Reise nach Bagdad ist geklärt. Denn das Krankenhausmaterial, dessen Übergabe zunächst als Motiv angegeben wurde, ist erst in letzter Minute organisiert worden. Alle Reisevorbereitungen wurden in Haiders Büro in Klagenfurt getroffen. Die Korrespondenz mit arabischen Verbindungsleuten trägt den Briefkopf des Landeshauptmanns.
Eine Rechnung für ein Abendessen mit arabischen Freunden in Wien, die der Landesregierung zugestellt und von dieser bezahlt wurde, musste im Nachhinein korrigiert und an Haiders Protokollchef Michael Koloini ausgestellt werden, der das Bankett dann aus seiner Privattasche beglich. Auch Pressesprecher Petritz soll dem nicht unvermögenden Haider bei Reisespesen ausgeholfen haben.
Seit Wochen führen Haider und seine Getreuen den Untersuchungsausschuss an der Nase herum: die Kronzeugen können sich wahlweise an nichts erinnern oder verweigern die Aussage. Gerne füllen die Freiheitlichen das Sommerloch und beschäftigen die dankbaren Medien mit Provokationen, die dann schnell wieder vergessen werden.
Die Dauerbrenner dieses Sommers dürften die FPÖ allerdings nachhaltig beschädigen. Für einen sorgte der freiheitliche Sozialsprecher Reinhart Gaugg, für den anderen der Anwalt Ewald Stadler. Stadler, ein Burschenschafter mit stolz zur Schau gestellter Mensur, verglich anlässlich einer Sonnwendfeier in einer mit deutschnationalen Versatzstücken gespickten Rede die Besetzung Österreichs durch die Alliierten mit der Naziherrschaft. Sein Aussage von der „angeblichen Befreiung“ 1945 provozierte die wohl beabsichtigte Aufregung. Und sein Versuch einer Klarstellung im Nachrichtenmagazin Profil machte die Sache nicht besser: „Ich halte eine Bewertung, was schlimmer war, für unanständig. Aus der Sicht der Opfer ist diese Aufrechnung, der eine Massenmord war der bessere, der andere der ärgere, widerwärtig.“ Doch während einige Freiheitliche auf Distanz zu ihrem Rechtsaußen gingen, eilte Haider seinem ehemaligen Fraktionschef zu Hilfe. Schließlich gehören doch jene, die den Zusammenbruch des Tausendjährigen Reiches nicht als Befreiung empfanden, zu seinen Stammwählern Wahrscheinlich noch schädlicher für Haider und die FPÖ ist die Affäre um FPÖ-Sozialsprecher Reinhart Gaugg, den neuen Vizegeneraldirektor der durch die Fusion der Pensionsversicherungen für Arbeiter und für Angestellte entstandenen PVA. Der Kärntner will einen Sondervertrag aushandeln, der ihm nicht nur 14-mal jährlich 9.900 Euro Gehalt, sondern auch Unkündbarkeit garantiert. Nicht einmal auf sein Nationalratsmandat wollte Gaugg verzichten.
Die Ansprüche des Haider-Freundes scheinen auch manchen Regierungsleuten zu weit zu gehen: Zweimal wurde der Sondervertrag Gauggs im zuständigen Gremium, in dem Schwarz-Blau eigentlich die Mehrheit hat, in geheimer Abstimmung abgeschmettert. Alle Meinungsforscher sind sich einig: Die FPÖ hat in ihrer Kernkompetenz, dem Kampf gegen Privilegien, die Glaubwürdigkeit verloren. Dramatisch dokumentiert dies die jüngste Sonntagsfrage des Instituts IFES, in der die FPÖ auf 18 Prozent abstürzt. Erstmals hätte Rot-Grün eine klare Mehrheit.
Immer wenn sich Jörg Haider in Bedrängnis sieht, bläst er zur Attacke. Also versucht er, aus der Affäre Gaugg eine Verschwörung von SPÖ und ÖVP zu machen. Zuletzt drohte er sogar, die Koalition platzen zu lassen: „Ich habe vor Neuwahlen keine Angst.“ Kanzler Wolfgang Schüssel bleibt vorerst gelassen. Neuwahldrohungen Haiders gehören längst zur politischen Folklore. Wirklich ernst kann es aber werden, wenn im Frühjahr die EU-Osterweiterung perfekt gemacht werden muss. Die FPÖ hat ihren Wählern versprochen, den Beitritt Tschechiens zu blockieren, wenn das AKW Temelín nicht abgeschaltet und die Beneš-Dekrete zur Vertreibung der Sudetendeutschen nicht aufgehoben werden. Das ist auch von der neuen Regierung in Prag nicht zu erwarten, und weder EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen noch die ÖVP wollen ein solches Junktim. Verheugen hat zuletzt nicht Temelín, sondern Haider und die FPÖ als Problem bezeichnet. Offensichtlich sehen das auch immer mehr Wählerinnen und Wähler in Österreich so.
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