: Ausgelassen feierten…
Schwule und Lesben kommen in deutschen Medien meist als bunte Vögel auf dem CSD vor. Kompetenten Umgang mit Homothemen gibt es kaum
von AXEL KRÄMER
Der schwule Bürgermeister und die Homoehe: beides gibt seit einem Jahr immer wieder Anlass für einen Medienhype um das Thema Homosexualität. Dumm nur, dass dabei häufig die journalistische Tiefe auf der Strecke bleibt, das Bemühen um politische Korrektheit führt meist zu Verkrampfungen, es wirkt angestrengt und ohne Überzeugung.
Vielen Medien in Deutschland fehlt, was am 7. Juli in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) als „schwule Kompetenz“ bezeichnet wird: die Fähigkeit einer Sichtweise, die auf einem spezifischen Erfahrungshorizont beruht. Nur: Auch der Autor des FAS-Artikels lässt diese missen – und zieht schließlich den falschen Schluss: Schwule Männer, sagt er, finden neuerdings bessere Bedingungen für ihre Karriere vor, wenn sie die Karten offen auf den Tisch legen. „Klaus Wowereit hat es vorgemacht“, heißt es im Leadtext, „Homosexualität zahlt sich aus“. Von ihrer „Opferrolle“ könnten Schwule profitieren, berichtet der Autor, weil es ihre Gegner zum Schweigen verdamme. Der Berliner Bürgermeister sei exemplarisch dafür, denn er „muss zwar mit Kritik leben, doch man hütet sich davor, ihn wegen seiner sexuellen Orientierung direkt anzugreifen“.
Es leuchtet ein, dass es auch im Beruf nützlich sein kann, das Privatleben nicht verleugnen zu müssen. Doch warum wertet es die FAS gleich als ein Privileg für Schwule, wenn ihre Sexualität nicht mehr zur Stigmatisierung taugt? Der Artikel vermittelt geradewegs den Eindruck, als wäre die einstige Diskriminierung nun gar einer Bevorzugung gewichen. In der Realität, abseits des „regierenden Partymeisters“ (B. Z.), dürften die meisten Schwulen freilich weit davon entfernt sein, sich in ihrem Beruf outen zu können. Jedenfalls nicht, ohne dabei Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Wie die meisten anderen Zeitungen auch, tun sich Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und FAS mit Homothemen nach wie vor schwer. Immerhin konfrontieren sie ihre Leser nun häufiger mit Berichten über Schwule und Lesben als vor zehn Jahren. Von dem Engagement und der Sensibilität, die sie für andere Minderheiten einfordern, sind sie jedoch weit entfernt. Zumeist begnügt man sich mit dem Blick auf eine schillernde Oberfläche. Es ist ein voyeuristischer Blick, wie man ihn von Berichten rund um den CSD aus nahezu allen anderen Medien kennt: unbekümmerte Homos als Prototypen der Spaß- und Erfolgsgesellschaft. Dieses Bild hat sich inzwischen ziemlich fest eingeprägt.
Da verwundert es nicht, wenn Erfahrungen aus der Vergangenheit drohen in Vergessenheit zu geraten. Beinahe wie eine mahnender Donnerschlag aus heiterem Himmel mutet es an, wenn hin und wieder mal ins Gedächtnis gerufen wird, dass vor nicht allzu langer Zeit alles noch ganz anders war. Wie etwa in einem Beitrag vom 18. 7. in der Frankfurter Rundschau (FR). Darin erinnerte Ina Hartwig anlässlich der Zustimmung der Karlsruher Verfassungsrichter zur Homoehe daran, dass in Deutschland einmal „tausende Homosexuelle in Konzentrationslager gesteckt“ und „hunderte von eugenischen Experimenten und Zwangssterilisationen durchgeführt“ wurden. Angesichts dessen, so Hartwig, würde diesem Land auch das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben gut anstehen.
Kinder in der Obhut von Homopaaren? Da regt sich in manchen Redaktionen das alte Vorurteil vom schwulen Kindesverführer – und gerät mit dem Kodex in Konflikt, politisch korrekt bleiben zu müssen. So deutet etwa der Spiegel in einem sechsseitigen Beitrag über katholische „Kinderschänder im Talar“ vom 15. Juli das alte Klischee an, um sich dann doch darum herumzumogeln: keine Rede von den jüngsten Krisengesprächen im Vatikan, in denen der Papst eine ursächliche Verbindung von Homosexualität und sexuellem Kindesmissbrauch thematisierte. Auch kein Wort darüber, dass Untersuchungen diese These längst widerlegen: Indizien, dass Homosexuelle eher zum Missbrauch neigen, gibt es nämlich nicht. Psychologischen Gutachten zufolge ist es meist die Kindlichkeit und nicht das Geschlecht, das zur Tat motiviert. Doch darüber erfährt der Leser nichts. Zwischen den Zeilen wird hingegen subtil der Eindruck erweckt, als wäre ein Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen: vor allem durch den Fall, der dem Spiegel als Aufhänger dient.
Dabei wird ein gleichgeschlechtliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Priester und einem Ministranten angeführt, der anfangs 14 Jahre alt war. Was sich während der 10-jährigen Beziehungsdauer alles abgespielt haben mag, wirft zumindest einige Fragen auf, denen der Bericht jedoch nicht auf den Grund geht. Der Spiegel ist sich dennoch sicher: „Was der Pfarrer Liebe nennt, war eher die Gier nach Sex.“ Zwar wird erwogen, dass für die Verfehlungen katholischer Priester „jahrhundertealte Moralvorstellungen“ verantwortlich sein könnten. Aber über die ablehnende Haltung des Vatikans gegenüber Homosexualität fällt kein Wort. Vielmehr erkennt der Spiegel das Übel im Zölibat – gerade so, als würden Ehe, Familie und gelebte Heterosexualität vor sexuellem Missbrauch schützen. Dass dem nicht so ist, haben Studien längst belegt. Doch der Spiegel erweckt den Eindruck, als sei Homosexualität die Wurzel des Problems.
Im Unterschied zu führenden deutschen Printmedien zeichnet sich die New York Times immer wieder durch einen kompetenten Umgang mit Homothemen aus. Wie etwa am 14. Juli, als sie die von der Berliner Nationalgalerie in die USA exportierte Andy-Warhol-Retrospektive scharf kritisierte, weil dabei ausgerechnet Warhols Schwulsein unter den Teppich gekehrt wurde. „Alles über Warhol außer Sex“, lautete die Schlagzeile eines Verrisses, der dem Feuilletonchef der New York Times fast eine ganze Seite wert war.
„Warhol war der erste große Nachkriegskünstler, der seine schwule Identität ins Zentrum des künstlerischen Schaffens rückte“, lautet die Kernthese, und Sex sei ein „essenzieller Bestandteil seiner Kunst“. Ein Kunsthistoriker wird gar mit dem Standpunkt zitiert, Warhols Homosexualität sei „das Wertvollste, Interessanteste und Politischste in seiner Arbeit“. Andere amerikanische Publikationen schlossen sich der Diskussion an. Solche Debatten würde man sich auch in Medien wie der Süddeutschen oder der Zeit wünschen.
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