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Saure Blonde mit dem süßen Schuss

Die Berliner Weiße ist wieder im Kommen. Nicht nur mit Himbeer- und Waldmeister-, sondern auch mit Ananasgeschmack. Doch nicht die Berliner trinken das typische Hauptstadtgetränk. Es sind die Touristen, die der Weißen zu neuem Ruhm verhelfen

Das Bier wird mit Hefe und Milchsäure vergoren, ähnlich wie Champagner

von DANIEL SCHULZ

Die Berliner Weiße ist zurück. Jenes schauerliche Schankbier mit dem Geschmack umgekippter Sauerkirschmarmelade ist auferstanden. „Ich weiß nicht, warum um Gottes Willen, aber das Zeug hat ein Revival ohnegleichen erlebt“, entsetzt sich Jens Schmidt vom Biergarten des Pfefferbergs an der Schönhauser Allee. „Die Weiße ist eines der angesagten Getränke des Sommers.“

In der Tat: Während der Pils-Absatz 2001 um 3 Prozent zurückging, Helles und Leichtbier signifikant einsackten und andere Biersorten konstant vor sich hindümpeln, explodierte der Weiße-Absatz deutschlandweit mit über 12 Prozent Zuwachs. „Das Segment Berliner Weiße wird weiterhin ständig wachsen“, ist sich Marco Domogalski, Produktmanager von Berliner Kindl, sicher. Seine Firma ist nationaler Weiße-Marktführer und verkaufte 2001 allein 60.000 Hektoliter. Das sind 20 Millionen Portionen in der üblichen Abfüllmenge von 0,33 Litern.

Ein Viertel davon landet in Kehlen in und um Berlin. Schultheiß bringt deutschlandweit noch einmal halb so viel Weiße auf den Markt, der Berlin-Anteil liegt ähnlich. Dabei hat die Weiße-Welle unterschiedslos sowohl die Eckkneipen in Lichtenberg als auch die Szeneschuppen am Hackeschen Markt überrollt.

Wahrscheinlich wissen die Genießer nicht, dass sie ein großes Missgeschick trinken. Um 1526 versuchte der Hannoveraner Brauer Cord Broihan ein Hamburger Weizenbier nachzubrauen. Ein scheußlicher Geschmack und Magengrimmen waren die herausstechenden Merkmale des unglücklichen Broihan-Sudes. Berlins Biermacher missachteten diese deutlichen Zeichen und entwickelten das Rezept weiter.

Heute ist das Bier mit 2,8 Prozent Alkoholgehalt, das nicht mit bayrischen Weißbier verwechselt werden darf, ein dunkelgelber Weizen-Gerste-Mix, vergoren nicht nur mit Hefe, sondern auch mit Milchsäure, ähnlich wie bei der Champagnerherstellung.

So genießerisch wie der Schaumwein wird die Weiße allerdings nicht getrunken. Besonders im Sommer schlürfen ganze Biergärten durch Strohhalme Berliner Weiße mit Schuss – also gemischt mit Himbeer- oder Waldmeistersirup. Pur ist das saure Spezialgebräu kaum zu ertragen. Neuerdings gibt es das Bier auch mit Mango-, Ananas-Orange- oder Maracuja-Geschmack in der Dose. Hartgesottene geben sich Berliner Weiße mit Strippe, gießen also ein Glas Kümmellikör dazu. Das saure Blonde ist mit fast allem mischbar, und der Aufschwung der Biermixgetränke spülte auch die Weiße wieder nach oben.

Dabei sah es lange nicht gut aus für die hauptstädtische Bierspezialität. Gab es im 17. Jahrhundert noch 700 Weiße-Brauereien in Berlin, kochen heute nur noch Schultheiss und Kindl das obergärige Bier. In den 90er-Jahren wollte keiner die als typisch berlinerisch verkaufte Plörre trinken, erst seit 1998 steigt der Absatz wieder.

Großen Anteil daran hat vor allem das deutsche Ausland. In Hessen und Schleswig-Holstein hat sich der Weiße-Konsum fast verdoppelt, in Thüringen trinken 50 Prozent mehr Menschen den Biermix.

In Berlin selbst gab es einen nur einen leichten Zugewinn von 6 Prozent. Im Klartext: Vor allem Touristen kippen die Weiße. „Allerhöchstens 20 Prozent sind Berliner“, ist die Erfahrung von Christine im Kreuzberger Lokal Senti. „Touris trinken Weiße sogar im Winter“, raunt Werner Kläger, der Chef des Brauhauses Spandau. „Na, kieken Se mal uff die Amis, die saufen ditte“, brüllt eine dicke Barfrau im Prater, dem Biergarten an der Kastanienallee in Prenzlauer Berg.

„Für viele Besucher ist die Weiße so typisch wie das Brandenburger Tor. Sie nehmen ein paar Flaschen als Berliner Kulturgut mit nach Hause und fragen sie dort in optimaler Weise bei ihren Händlern nach“, erklärt Kindl-Produktmanager Marco Domogalski das erfolgreiche Marketing-Konzept der Brauerei. Neben den Leuten von außerhalb trinken vor allem immer noch Frauen die Weiße. Grund: Die Berliner Weiße mit Schuss schmeckt eben nicht wie Bier, sondern einfach nur süß.

Ganz Deutschland also im Weiße-Fieber? Nicht ganz. Bayern und Sachsen-Anhalt verweigern sich seit Jahren standhaft dem Boom des neuen Sommergetränks. Dort ging der Absatz der Weiße um ein Viertel zurück.

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