Konjunkturlokomotive fehlt Dampf

Zahlen von Wirtschaftsministerium und Notenbank lassen erwarten, dass das Wachstum unter der erhofften Rate bleibt. Die Rezession im vergangenen Jahr war heftiger als bislang angenommen und begann lange vor den Terroranschlägen

aus New York NICOLA LIEBERT

Die US-Wirtschaft ist mitnichten aus dem Gröbsten heraus. Das Wirtschaftswachstum fiel im zweiten Quartal mit 1,1 Prozent nur halb so hoch aus wie die durchschnittlichen Prognosen. Die Rezession im letzten Jahr dauerte drei volle Quartale und war damit viel schlimmer, als die bisherigen Daten vermuten ließen, meldete das Wirtschaftsministerium in Washington. Und die US-Notenbank Fed kann derzeit auch nur gerade einmal eine „bescheidene“ bis „gemäßigte“ wirtschaftliche Expansion erkennen.

In ihrem nach der Einbandfarbe genannten „Beige Book“, einem achtmal im Jahr erscheinenden Bericht über die wirtschaftliche Situation im Land, äußert sich die Fed vor allem sehr vorsichtig über den privaten Verbrauch, der mehr als zwei Drittel der US-Wirtschaftsleistung ausmacht und damit die wichtigste Stütze der Konjunktur ist. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei flau und unterstreiche die schleppende konjunkturelle Erholung.

Auch die Industrie, die seit 2001 zum Teil drastische Einbrüche erlebte, erhole sich langsam und ungleichmäßig, heißt es. Doch schreibt die Fed auch: „Über die künftige Entwicklung in der nahen Zukunft gab es einen gewissen Optimismus, obwohl Informanten in einigen Bezirken Sorgen über das Risiko haben, dass die sinkenden Aktienkurse die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten.“

Tatsächlich wirkt sich der rapide Verfall der Börsenindizes bereits auf die Konjunktur aus. In dem Maße, in dem die in Aktienfonds angelegten Ersparnisse vieler US-Amerikaner dahinschmolzen, haben diese begonnen, mehr Geld auf die hohe Kante zu legen, statt es mit vollen Händen auszugeben. Die Sparquote ist auf 4 Prozent gestiegen – eine für US-Verhältnisse beachtliche Höhe. Kombiniert mit schwächeren Gehaltssteigerungen hat das zur Folge, dass der private Verbrauch nachlässt. Im zweiten Quartal nahm der Konsum der Privathaushalte um nur 1,9 Prozent zu – nach 3,1 Prozent in den ersten drei Monaten 2002.

Dies wäre nicht so schlimm für die konjunkturelle Entwicklung, wenn dafür die Unternehmen mehr für Investitionen ausgeben würden. Aber auch davon ist seit gut 21 Monaten nichts zu sehen. Der Umfang der Investitionen schrumpfte in den letzten drei Monaten um 1,6 Prozent. Nur Computer und Software wurden vermehrt gekauft. Experten warnen aber vor einer Überinterpretation. Es handele sich in erster Linie um Ersatzinvestitionen, meint etwa Christian Weller, Makroökonom am Economic Policy Institute in Washington. „Mit Sicherheit gibt es keinen neuen Informationstechnologieboom.“

Dass das Wachstum so schwach ausfiel, liegt auch daran, dass die Importe viel schneller zunahmen als die Exporte. Zudem hat die Regierung nach ihrem Afghanistankrieg nicht mehr so viel für Rüstung ausgegeben wie in den vergangenen Quartalen, und die Bundesstaaten und Kommunen mussten ihre Ausgaben aufgrund ihrer angespannten Haushaltslage kräftig einschränken.

Die Regierung hatte sich lange bemüht, die Wirtschaft schönzureden. Doch die jetzigen Daten zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt bereits seit Anfang 2001 und nicht erst seit den Terroranschlägen im vergangenen September sank. Präsident George Bush sprach zwar angesichts der gestiegenen Investitionen in Technologiegüter von einem „positiven Trend“. Doch der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, meinte mit Seitenhieb auf Bush, der kräftige Rückgang der Wachstumsrate „zeigt mehr als alles andere, dass wir ökonomische Führerschaft brauchen“.

Und während sich viele Volkswirte von US-Investmentbanken optimistisch über die künftigen Aussichten geben und Wachstumsraten von 3 bis 3,5 Prozent für die zweite Jahreshälfte prognostizieren, bleibt der Ökonom Weller skeptisch: „Dafür ist kein Motor da.“