: Klackernde Kugeln im Staub
Boule, das Spiel mit den sechs glänzenden Kugeln, hat auch in Bremen seine Fans. Ob auf dem Brommyplatz oder in der Neustadt: Hier wetteifert der türkische Rentner mit dem Pastor darum, nah ans „Schweinchen“ zu kommen
Mit einem dumpfen Aufprall schlägt die Kugel auf dem staubigen Boden auf und rollt dann noch ein Stückchen. Einen Augenblick lang ist es ruhig. „Klasse Kugel, bravo Max“, durchbricht Thomas Martens die Stille.
Max Hellbach, dem Thomas Zustimmung gilt, ist ein 14-jähriger Schüler und seit mittlerweile sieben Jahren in der Bremer Boule-Szene mit von der Partie. Er ist Thomas Spielpartner. Der 39-jährige Krankenpfleger ist an der Reihe, greift nach einer der Stahlkugeln. Dann beugt er seine 1,96 Meter vor, geht in die Hocke. Es herscht gespannte Stille. Während Thomas sich konzentriert, scheinen die anderen drei Mitspieler auf dem Brommyplatz den Atem anzuhalten. Sie wissen, dass Thomas zu den Guten gehört.
Er ist einer, der in den letzten sieben Jahren schon viele Wochenenden mit Bouleturnieren verbracht hat. „So manche Freundin war deswegen schon richtig sauer“, sagt Thomas. Er entscheidet sich, die Kugel nicht zu „legen“ sondern zu „schießen“. Die Taktik geht auf: Mit einem klackenden Geräusch, das sich wie die französische Bezeichnung Pétanque anhört, stößt sein Schuss von oben auf eine gegnerische Kugel, prallt von ihr ab, saust über den unebenen Boden und schießt dann noch drei andere Boulekugeln weg. Am Ende bleibt Thomas Kugel ganz dicht beim „Schweinchen“ liegen, der kleinen rosa Kugel, die die SpielerInnen versuchen zu treffen.
„Boule“ – dazu hat wohl jeder ein Bild im Kopf: Rauchende alte Männer mit Baskenmützen, die unter südfranzösischer Sonne ihre Kugeln spielen. Die Bewegungen sind langsam. Sie schweigen. Betrachter, die diese Stille und Langsamkeit nicht gewohnt sind, bekommen eine Ahnung, wie Boule die Zeit unwichtig werden lässt.
Entspannung breitet sich auch bei Wolfgang Mützelfeld aus, wenn er seine Kugeln nah ans Schweinchen heran spielt. Vor drei Jahren stand der Schulleiter kurz vor einem Herzinfarkt. Dann entdeckte er das französische Spiel für sich, genau so wie die 81-jährige Rentnerin Antje Kuntze. Sie trifft sich seit zwei Jahren mit anderen NeustädterInnen zum Boule. Heute kann sie ihre Beine viel besser bewegen als früher und sogar wieder Radfahren.
Das französische Flair stellt sich am ehesten auf dem Brommyplatz in Peterswerder ein. Entspannung und Ruhe sind schon von Weitem spürbar. Der Platz liegt im Schatten unter Bäumen, gesäumt von Straßencafés. Tassengeklapper, plaudernde Gäste und Straßenbahnen bilden die Geräuschkulisse. Hier wetteifert der türkische Rentner mit dem Pastor, Männer, Frauen und Kinder spielen die Boule-Pétanque-Variante: Es wird aus sechs bis zehn Metern gespielt. Zum Boule-Provençale dagegen gehört ein Anlauf dazu, weil die Stahlkugeln aus größerer Entfernung auf die kleine Kugel geschossen werden müssen. Ob Tripplette – drei gegen drei – oder Doublette – zwei gegen zwei – es sind immer sechs Boulekugeln in einem Spiel.
Eine Runde Kugelwerfen dauert schon mal eineinhalb Stunden. Da bleibt es nicht aus, dass die Spieler sich kennenlernen: „Wo ist Ali?“ fragt einer. Seine Mitspieler sind verärgert: „Nur weil Ali Besuch aus dem Irak hat, ist er seit Wochen wie weg vom Fenster“, sagt Ulrich Brülls. Ali al Hussaini gehört hier zu den Besten. Die meisten mögen ihn sehr. „Boule ist kein Spiel für eine Elite, Boule ist für jeden, das ist der besondere Reiz“, sagt Thomas.
Noch lieber spielt der Hüne allerdings die Pétanque-Variante: „Die ist für ehrgeizigere Spieler“, sagt er. Deshalb fährt er zusammen mit Ali und Max begeistert auf Turniere nach Berlin, Hamburg oder Hannover. Die drei sind geradezu süchtig nach ihren Kugeln und der Ruhe, die Voraussetzung Nummer Eins für ein gutes Spiel ist. Und die herrscht auch bei Wettkämpfen.
Während Ulrich noch ein wenig wegen Alis Abwesenheit grollt, fliegt schon wieder eine Stahlkugel durch die Luft. Sie trifft exakt das „Schweinchen“, das sofort auf die Straße schießt. Alle rennen los, es zu suchen. Nur Thomas richtet sich aus der Hocke auf und steht einfach da.
Karl Zyskowski
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