Im Kampf gegen Windmühlen
Windparks auf dem Meer: Was für manche die Lösung der Energiefrage ist, halten andere für Großschredderanlagen für Seevögel. Der Disput geht auch quer durch den NABU Schleswig-Holstein. Und Gutachter verdienen sich goldene Nasen
Es fehlt an biologischen Bestandsaufnahmen. Unter 150 Meter Höhe werden die Vögel von Messgeräten nicht erfasst.
von ELKE RICHEL
Sie stören nicht durch Lärm und werfen keine rotierenden Schatten auf Wohngebäude: Offshore-Windkraftanlagen scheinen das Nonplusultra der alternativen Energiegewinnung zu sein. Doch durch die sonst so geschlossene Liga der Umweltschützer geht ein Riss: Für die einen sind die Windmühlen im Meer das Symbol für den Kampf gegen Atomstrom, für die anderen sind die riesigen Rotoren Großschredderanlagen für Zugvögel.
„Butendiek“ ist plattdeutsch, und so populär wie sein Name ist auch das Konzept des sogenannten Bürgerwindparks, der 34 Kilometer westlich von Sylt in der Nordsee entstehen soll. Der Plan: Vor allem die Küstenbewohner, die bisher gegen die Zerstörung der norddeutschen Touristenidylle durch Windparks protestiert haben, sollen von der Nutzung der „steifen Brise“ auf dem Meer profitieren.
Die Gesellschafter um Diplom-Ingenieur Wolfgang Paulsen rechnen sich gute Chancen aus, dass das Genehmigungsverfahren zügig abgeschlossen wird. Schon im Jahre 2004 sollen die 8412 Kleinanleger auf den Baubeginn für die 80 Großanlagen anstoßen können.
Die Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt ist jedenfalls vorbildlich. Den Initiatoren gelang es sogar, die Umweltschützer von Greenpeace mit ins Schlauchboot zu holen, die vor einem Jahr mit spektakulären Aktionen vor der friesischen Küste für die Nutzung der Windkraft auf dem Meer warben. Grundtenor der PR-Show: Windkraft im Allgemeinen und die vom Meer im Besonderen ist das Allheilmittel gegen den hohen Kohlendioxydausstoß der konventionellen Kraftwerke und gegen die Gefahr der Atommeiler – jede Mühle quasi ein Symbol für den Kampf gegen die Atomkraftlobby.
Doch die Initiatoren „Butendieks“ setzen nicht nur auf das grüne Gewissen der Anleger, sondern auch auf deren Zockermentalität. Denn bis jetzt dreht sich noch keine Mühle am Horizont, und wenn es nach dem Willen des Naturschutzbundes (NABU) Schleswig-Holstein geht, wird das auch so bleiben. „Die geplante Anlage beansprucht wichtige Flächen eines europäischen Vogelschutzgebietes“ begründet der NABU-Landesgeschäftsführer Ingo Ludwichowski den Protest seiner Organisation gegen „Butendiek“. Auch das Umweltverträglichkeitsgutachten der Betreiber überzeugt den Diplom-Biologen nicht. Bisher gebe es überhaupt keine Erfahrungen, wie sich Seevögel innerhalb solcher Anlagen verhalten, auch die Einflüsse auf den Vogelzug seien bisher nicht erforscht.
„Natürlich sind wir nicht grundsätzlich gegen Windkraftanlagen auf dem Meer, aber erst nach einer mindestens dreijährigen Grundlagenforschung in einem Pilotprojekt, selbstverständlich nicht in einem Vogelschutzgebiet“, erläutert Ludwichowski die Position des NABU: „Eine Großschredderanlage für Zugvögel werden wir nicht dulden.“ Er ist überzeugt, dass auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse kein Gutachter eine objektive Umweltverträglichkeitsanalyse für Offshore-Windkraftanlagen erstellen kann.
Einer, der es wissen müsste, ist der Hamburger Wissenschaftler Karsten Lutz. Er wirbt auf einer Internetseite von Windkraftbetreibern für seine Fachkompetenz in Sachen Umweltanalyse. „In der Realität habe ich aber noch kein Gutachten in dieser Form erstellt. Immerhin sind wir in Deutschland damit noch ganz am Anfang“, räumt der Diplom-Biologe ein. Aber er kennt die Methoden, mit denen diese Studien erarbeitet werden, und kann auf dieser Grundlage Angebote für potenzielle Betreiber vom Offshore-Windkraftanlagen fertigen.
„Eigentlich ist fast alles Augenmaß“, erklärt der 40-Jährige, der in den siebziger Jahren für den Jugendnaturschutzverband tätig war. Von einem Forschungsschiff aus wird das entsprechende Meeresareal in gedachte Abschnitte geteilt und dann systematisch das Vogelvorkommen beobachtet. „Allerdings muss man auch Glück haben“, schränkt Lutz die Treffsicherheit der Methode ein, denn besonders die geschützten Seetaucher würden sich gern mal in den Wellen verstecken und ließen sich dann gar nicht blicken.
Ähnlich zufällig scheinen die Erkenntnisse zum Vogelzug zu sein. Früher wurden die Küstenentfernung und die Flughöhe der Vögel mit militärischen Radaranlagen gemessen. Nach diesen Werten könne man von einer Zughöhe von über 300 Metern ausgehen, was bedeuten würde, dass die Tiere durch die Rotoren nicht gefährdet wären. „Aber in einer Höhe von unter 150 Metern werden die Vögel von den Messgeräten gar nicht erfasst, deshalb wendet man diese Methode heute nicht mehr an“, erklärt der Experte. „Es fehlt einfach an biologischen Bestandsaufnahmen“, fasst Lutz das Dilemma der Gutachter zusammen. Die Vogelforschung der Nordsee stecke eben noch in den Kinderschuhen.
Diese Ansicht teilt auch Marion Fabian vom Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, von Gesetzes wegen zuständig für die Genehmigung der Offshore-Anlagen. „Richtig ist, dass gesicherte Erkenntnisse über die Auswirkungen auf die Vögel bisher nicht vorliegen“, räumt sie ein. Aber die Gutachten der Auftraggeber hätten bisher keine Anzeichen dafür geliefert, nicht ausreichend objektiv zu sein. Zurzeit bearbeitet ihre Behörde 29 derartige Anträge, von denen das Genehmigungsverfahren für das kleine Projekt „Butendiek“ vergleichsweise weit gediehen ist. „Erst durch den Bau der Windenergieanlagen wird man feststellen, inwieweit die Vögel von den Anlagen tatsächlich beeinflusst werden“, vermutet Fabian.
„Das ist zynisch“, regt sich Ludwichowski auf. Zwar gäbe es auch vom Amts wegen keine Toleranzgrenze für den Vogelschlag, das aber würde im Umkehrschluss bedeuten, dass erst die Praxis zeigen wird, ob und wie viele der meist geschützten Vögel von den Rotorblättern zerstückelt werden. Der NABU-Landesgeschäftsführer befürchtet, dass sich in der nächsten Zeit viele „schwarze Schafe“ auf dem Gutachtermarkt tummeln werden, um sich eine goldene Nase zu verdienen.
Dass mit solchen Analysen viel Geld zu machen ist, bestätigt auch Gutachter Lutz. Sein Angebot für eine dänische Betreiberfirma belief sich auf einen Leistungspreis von fünf Millionen Euro. Dass er nur „zweiter Sieger“ geworden sei, lag schließlich daran, dass er mit nur einem Beobachtungsauftrag auf hohe See gefahren wäre. „Das Teuerste sind die Fahrten mit dem Forschungsschiff. Wenn man für mehrere Auftraggeber gleichzeitig arbeitet, kann man Synergien schaffen und damit Kosten sparen“, erklärt der Biologe.
Er plädiert dafür, dass der Bund auch die Kosten für die Gutachten übernimmt und diese erst nach dem Genehmigungsverfahren an die Betreiber weitergibt. Schließlich sei die Windkraftenergie ein Lieblingskind der rot-grünen Regierung, und so ein Sprössling koste nun mal Geld. Damit, so der Hamburger, wäre auch gewährleistet, dass die Gutachten wirklich objektiv seien.
Gerade weil Gutachter mit windigen Analysen den schnellen Euro machen könnten, drängt auch der NABU Schleswig-Holstein auf Rechtssicherheit und solide Grundlagenforschung. „Wirklich objektiv kann ein Gutachten nur sein, wenn es nicht durch die Betreiber beauftragt wird und darüber hinaus auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen beruht.“ Solange das nicht so sei, sollte sich kein Wissenschaftler dafür hergeben, appelliert deshalb Biologe Ludwichowski an das Gewissen seiner Kollegen.
Damit allerdings wird der Mann auch in seinen eigenen Reihen werben müssen. Einer, der das Projekt „Butendiek“ im Auftrag der Initiatoren auf Umweltverträglichkeit prüft, ist Dr. Georg Nehls, stellvertretender Vorsitzender des NABU Schleswig-Holstein. Auch er räumt ein, dass generelle Aussagen zu diesem Problem bisher unmöglich sind, baut jedoch auf Erfahrungen, die bisher anhand der Anlagen auf dem Land gesammelt worden sind. „Die Vögel sind intelligenter, als man denkt, und können den Rotoren ganz gut ausweichen.“
Dennoch ist auch er sich nicht ganz sicher, wie die Tiere auf die Beleuchtung der Anlagen auf See reagieren. „Bei bestimmter Wetterlage fühlen sich die Vögel von den Lichtreflexen der Mühlen angezogen“, was ihr Todesurteil bedeuten würde. Doch trotz allem hat Gutachter Nehls keine Bedenken hinsichtlich des Projektes „Butendiek“ und seiner Lage im Vogelschutzgebiet. Immerhin handele es sich um ein sehr kleines Projekt, die eventuellen Verluste würden sich demnach im akzeptablen Rahmen halten.
Diese Auffassung dürfte bei seinen eigenen Mitstreitern vom NABU Schleswig-Holstein für weitere Aufregung sorgen. Deren Ablehnung gestaltet sich mittlerweile zu einem Kampf gegen Windmühlen, bei dem außer Vögeln noch einiges mehr auf der Strecke zu bleiben droht.