: Superstars mit Pelz
Jeder will mal anfassen – unterwegs mit zwei süüüüüßen Katzenkindern
In der Unterwäscheabteilung des New Yorker Kaufhauses Macy’s traf mein Gatte Paul einst Susan Sarandon. Die verehrte Mimin interessierte sich für Unterwäsche. Paul, damals noch ein sehr junger Cineast, interessierte sich umgehend für Frau Sarandon. War sie es wirklich? Und: Was tun? Diese Möglichkeit verstreichen lassen? Unmöglich! „Excuse me“, sagte er daher schüchtern, „are you Susan Sarandon?“ Die berühmte Schauspielerin blickte auf von den Dessous und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln: „Not today, honey.“
Besser hätte es für beide Seiten nicht laufen können. Er hatte mit ihr gesprochen, sie hatte sich charmant ihre Ruhe verschafft. Man könnte jetzt einwenden: In Unterwäscheabteilungen halten auch jugendliche Weltstarverehrer besser mal komplett die süße Zuckerschnute. Aber das wäre überzogen, ja, grausam – und es ist überhaupt nicht nötig. Ich kann das beurteilen, denn ich bin selbst ein Weltstar. Seit kurzem und unfreiwillig.
Genau genommen bin ich nicht selbst der Star. Karl und Rosa sind’s, unsere Katzenkinder. Zehn Wochen sind sie alt, und natürlich sind sie klein und süß, wie es sich für Katzenkinder gehört. Beide haben weiße Bäuchlein, Karl ist oben rötlich getigert, Rosa graublau. Leider haben sie Schnupfen und müssen zum Tierarzt. Der ist sehr weit weg: Zwei S-Bahn-Stationen und einige hundert Meter zu Fuß durch den öffentlichen Raum! Nur wenige Menschen wissen, was das bedeutet. Susan Sarandon zum Beispiel. Katzenkinder sind Stars. Sie werden sofort von allen erkannt. Höflichkeit und Distanz sind aufgehoben – Stars sind Allgemeinbesitz. Ihre Begleiter leider auch.
Es ist heiß. Sehr heiß, wenn man einen schaukelnden Katzenkorb schleppt. Hinter der Gittertür beklagen Karl und Rosa miaureich den unfreiwilligen Ausflug. „Süüüüß!“, kieksen 15-jährige Mädchen, Jungs sagen: „Booooaah, krass, voll klein!“ Die Teenies sind aber okay, denn nach solchen Worten des Überschwangs gehen sie rasch weiter ihrer Wege. Ihre Schüchternheit zwingt sie. Doch schon auf der Treppe zum S-Bahnsteig umringen mich bärtige, bäuchige Männer und miauen verschwitzt: „Miau! Miau!“ Wahrscheinlich glauben sie, auf diesem Wege Anteil an der Possierlichkeit der kleinen Wesen erwirtschaften zu können. Das würde vielleicht das Interesse der Damenwelt auf sie lenken, so wie Stars Abglanz auf ihre Groupies werfen. Doch die Damen ziehen die Possierlichkeit meiner Katzen den feisten Herren vor. Vor allem eine Dame um die 50, die ohne Zweifel komplett verrückt ist.
„Oooh, sind die entzückend“, stößt sie hervor, während sie schon in Hockstellung die Nase durch die Gittertür rammt. „Zwee, wa?“ – „Ja, zwei“, sage ich, wahre die Contenance und hoffe auf einen Tatzenhieb. „Miau, miooh!“, wehklagen Karl und Rosa, als hätten sie Wilhelm Busch gelesen. „Wir sind gleich da“, sage ich demonstrativ durch die seitlichen Luftschlitze in den Katzenkorb hinein, „alles gar nicht schlimm …“ – „Lassen Sie mich mal halten!“, befiehlt die Frau und hat mir schon den Griff des Korbes entwunden. „Wir gehen jetzt schnell weiter“, sage ich, den Griff erkämpfend, durch die Luftschlitze, „ihr braucht keine Angst zu haben.“
Alles umsonst. S-Bahnen verkehren nicht, wegen Computerausfall. Den halben Weg zurück zum Taxistand. Der Fahrer bremst und beschleunigt, als hätte er einen Sack Kartoffeln geladen. „Miau, miooh!“ Schuldgefühle. Der Tierarzt spritzt, der Katzenvater schwitzt. „Das macht dann 100 Euro, bitte!“, sagt der Tierarzt. „Miau, miooh“, sage ich. „Bis zum nächsten Mal in drei Tagen“, sagt der Tierarzt. „Wir fahren jetzt nach Hause“, erkläre ich durch die Gittertür, und wir machen uns auf den Rückweg.
„Zwei Mädels, wa?“, fragt ein bärtiger, bäuchiger Mann und schiebt sein gerötetes Antlitz in Richtung Gittertür. Ich hätte den Korb nicht auf den Fahrkartenentwerter stellen sollen. Aber auf dem Fußboden sind all die Hunde. „Ein Herr, eine Dame!“, erkläre ich scharf und bete, dass die S-Bahn-Computer wieder funktionieren. Während ich, ganz Security-Mann, meine Stars mit vollem Körpereinsatz abschirme, höre ich eine schüchterne Stimme: „So klein war unser Bartholomäus auch mal.“ Eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter stempelt ihren Fahrschein. „Darf ich mal streicheln?“, fragt schüchtern das Mädchen. Ich lächele freundlich: „Not today, honey.“ HOLGER WICHT
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