: Afghanistan vor einer neuen Krise
Gelingt es der schwachen Karsai-Regierung weiterhin nicht, die versprochenen Wiederaufbaugelder locker zu machen, bekommt sie in der Bevölkerung immer mehr das Image eines Verlierers und einer Geisel amerikanischer Interessen
aus Delhi BERNARD IMHASLY
Seit einer Woche kommt es in der ostafghanischen Provinz Khost zu Scharmützeln zwischen Milizen des neuen Provinzgouverneurs und Anhängern des paschtunischen Warlords Badshah Khan Zadran. Der bekämpfte bereits die Ernennung des Gouverneurs der Nachbarprovinz Paktia, dessen Stelle er einnehmen wollte. Doch als dieser bei der Loja Dschirga (Große Ratsversammlung) im Juni von Präsident Hamid Karsai ins Kabinett berufen wurde, schöpfte Zadran neue Hoffnung. Doch mit der kürzlichen Berufung eines Gouverneurs von außerhalb der Region – einem Tadschiken – wurde Zadran wieder enttäuscht. In Kabul verlautete, die Regierung habe ihn aufgefordert, seine Störmanöver aufzugeben; sonst werde man gegen ihn vorgehen.
Wenn Zadran über diese Drohung nur verächtlich lacht, kann man es ihm nicht übel nehmen. Karsais Autorität reicht nicht über Kabuls Stadtgrenze hinaus. In Khost und Paktia kann Zadran fast beliebig walten. Ähnlich verhalten sich die Kriegsfürsten Karim Khalili im zentralen Hazaradschat, Gul Agha in Kandahar, Ismail Khan in Herat sowie Raschid Dostum und Atta Mohammed im Norden. Karsais Regierung appeliert weiter vergeblich an die westlichen Mächte, das Mandat der Internationalen Schutztruppe Isaf über Kabul hinaus auszudehnen. Doch diese lehnen ab und verweisen auf ihre Hilfe beim Aufbau der Armee. Doch ein nationales Heer ist erst in einigen Jahren ein ernst zu nehmender Machtfaktor. Bis dahin bleibt das Feld lokalen Kriegsherren überlassen.
Nicht selten werden die Warlords von den USA unterstützt, die für ihre Militäraktionen auf lokale Informanten angewiesen sind. Dies ist die Chance der Kriegsfürsten, denn die Abhängigkeit des US-Militärs schützt sie vor der Regierung in Kabul. Washingtons Dollars halten die Truppen der Warlords bei Laune, und bewusste Falschinformationen ermöglichen es, Rivalen auszuschalten. So werfen Gegner Zadran vor, am 20. Dezember einen Konvoi von Stammesführern auf dem Weg nach Kabul zunächst aufgehalten und dann gegenüber den USA als al-Qaida denunziert zu haben. Diese bombardierten darauf den Konvoi und töteten so Zadrans Rivalen.
Auch beim Angriff auf vier Weiler und eine Hochzeitsgesellschaft in der Provinz Urusgan am 1. Juli sollen sich die Amerikaner auf falsche Informationen aus der Umgebung des Warlords (und Gouverneurs von Kandahar) Gul Agha verlassen haben. 48 Menschen wurden getötet. Ein UNO-Untersuchungsbericht mit schweren Vorwürfen gegen die USA wurde letzte Woche hastig zurückgezogen, doch einen Vorabdruck in der Times dementierte die UNO nicht.
Erstmals war auch Karsais Regierung gezwungen, sich von den US-Freunden zu distanzieren. Außenminister Abdullah Abdullah sagte: „Wenn die Dinge nicht besser werden, dann wünsche ich den Amerikanern alles Gute – aber ich werde nicht mehr ein Teil davon sein.“
Es ist fraglich, ob solche Sprüche die Eigenständigkeit des Kabuler Regimes stärken, nachdem dies auch die Loja Dschirga nicht konnte. Die bescherte Karsai statt des erhofften Legitimitätsgewinns einen Prestigeverlust. Seine Wahl war die einzige bedeutsame Entscheidung der Versammlung, und das auf Druck der USA. Deren Sonderbeauftragter Zalmay Khalilzad verhinderte eine Paschtunen-Initiative, die den greisen Exkönig Sahir Schah zum Präsidenten machen wollte. Die Amerikaner und Karsai stützten sich im Gegenzug auf die Stimmen der Warlords, die sich auf zweifelhafte Art in die Versammlung hatten wählen lassen. Einige landeten zum Dank im neuen Kabinett, über das die Versammlung nicht ernsthaft abstimmen durfte.
Karsais Kompromisse brachten ihm zwar für weitere 18 Monate das höchste Staatsamt ein, aber nicht den erhofften Demokratiebonus. Gelingt es der Regierung weiterhin nicht, die versprochenen Wiederaufbaugelder locker zu machen, bekommt sie in den Augen der Bevölkerung immer mehr das Image eines Verlierers und einer Geisel amerikanischer Interessen. Auch die Berufung von Kriegsherren ins Kabinett wird zur Hypothek. Karsais Absicht war es, mit deren Einbindung in den Prozess der Staatsbildung die Autorität Kabuls auf deren Herrschaftsgebiete auszuweiten. Doch dies bescherte Karsai die Intrigen und Rivalitäten, die diese Warlords zu Hause umgeben.
Ein Indiz war der Mord vom 6. Juni an Hadschi Kadir, einem Paschtunenführer aus der Ostprovinz Nangarhar. Kadir, den Karsai zum Vizepräsidenten erkor, hatte in Dschalalabad mehrere Rivalen. Die neideten ihm seine guten Beziehungen mit den tadschikischen „Pandschiri“-Fraktion, die bereits im ersten Karsai-Kabinett mit den Ministern für Verteidigung, Inneres und Äußeres die wichtigste Machtgruppe stellte und den traditionellen Herrschaftsanspruch der Paschtunen herausforderte. Während der Loja Dschirga stellte Innenminister Yunus Kanuni sein Amt zur Verfügung, wurde aber später Sicherheitsberater im Präsidentenamt. Dies lässt ihm die Freiheit, seine Pläne einer eigenen Partei zu verfolgen.
Inzwischen mehren sich Berichte von Spannungen zwischen Karsai und Verteidigungsminister Mohammed Fahim, dem der Geheimdienst untersteht. Nach dem Attentat auf Kadir ersetzte der Präsident seine von Fahim gestellte Leibwache durch US-Militärs und übertrug die Untersuchung des Attentats einer internationalen Prüfung. Fahim sah dies als Misstrauensvotum, zumal Karsai auch eine Kommission einsetzte, die den Geheimdienst untersuchen soll. Der verfügt über 30.000 Mitarbeiter. Diplomaten in Kabul sehen darin den Versuch Karsais, seine Abhängigkeit von den „Pandschiris“ zu reduzieren und die eigene Autorität zu festigen.
Der Präsident, der im Gegensatz zum Ex-Warlord Fahim keine eigenen Truppen hat, ist auf die Unterstützung der internationalen Alliierten angewiesen. Doch insbesondere die USA unterstützten ihn in den wichtigsten Fragen – Sicherheit und Wiederaufbau – kaum. Die Isaf bleibt auf Kabul beschränkt, und von den für 2002 zugesagten Hilfsgeldern von 1,8 Milliarden Dollar trafen laut Wiederaufbauminister erst 90 Millionen ein.
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