: Stolpe hat kein Kaninchen im Hut
„Die Menschen wollen keine neuen Versprechungen.“ Führende ostdeutsche Sozialdemokraten mahnen zu Realismus im Umgang mit den Problemen im Osten, loben aber dennoch das neue Finanzkonzept der Hartz-Kommission für den Aufbau Ost
aus Berlin JENS KÖNIG
Für alle Parteien gibt es in geografischer Hinsicht drei goldene Regeln für den Bundestagswahlkampf. Erstens: An Nordrhein-Westfalen denken. Zweitens: An Ostdeutschland denken. Drittens: Alle anderen Regionen nicht vergessen. Der SPD geht es im Moment so schlecht, dass sie gar nicht weiß, welche dieser Regeln sie zuerst befolgen soll. Gestern war, ohne besonderen Anlass, Ostdeutschland dran.
Führende ostdeutsche Sozialdemokraten haben bei einem Treffen in Berlin über die Schwerpunkte des Wahlkampfes im Osten diskutiert. Herausgekommen ist eine Erkenntnis, die nicht gerade neu, aber dennoch nicht verkehrt ist: Die Ostdeutschen wollen keine neuen Versprechungen hören. „Wir müssen den Menschen sagen, was realistisch ist und was nicht“, so Manfred Stolpe, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg und jetzt so etwas wie Schröders Lothar Späth.
Weil aber bei allem Realismus trotzdem Wahlkampf angesagt ist, lobten die ostdeutschen Sozialdemokraten erst einmal sich selbst und ihre Regierung. Zentrale Projekte, die die SPD auf ihrem Ost-Parteitag im März beschlossen hatte, seien von der rot-grünen Bundesregierung umgesetzt worden, sagte Stolpe. Das Jump-Plus-Programm biete 100.000 jungen Ostdeutschen die Chance auf einen Arbeitsplatz. Wichtige Verkehrsvorhaben wie die Verlängerung von Autobahnen und ICE-Trassen seien realisiert worden. Die Bundeskulturstiftung mit Sitz in Halle sei gegründet. An andere Beschlüsse des Ost-Parteitages hingegen mussten die Sozialdemokraten noch einmal erinnern. Dazu gehört die Ansiedelung aller neuen Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland sowie die schrittweise Umsetzung der Lohnangleichung bis 2007.
Dennoch mahnte der knorrige Stolpe immer wieder gnadenlosen Realismus an. „Wir haben kein Kaninchen, das wir aus dem Hut zaubern können“, sagte er in Bezug auf die Wahlchancen der SPD im Osten. Stolpe bezog das auch auf die Vorschläge der Hartz-Kommission, die ja für den Parteivorsitzenden Gerhard Schröder so etwas wie ein letzter Hoffnungsanker sind. Dennoch lobten die ostdeutschen Sozialdemokraten die Ideen der Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes, einschließlich des Vorschlags, den Aufbau Ost über ein steuerlich gefördertes Wertpapier zu fördern. „Dieses Anlagemodell ist geeignet, zusätzlich privates Kapital für Ostdeutschland zu mobilisieren, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen“, so Stolpe.
Ob damit jedoch Investitionen von bis zu 150 Milliarden Euro geschaffen werden können, wie von Hartz prognostiziert, wollten die Ost-Sozialdemokraten nicht vorhersagen. „Ich würde mich nur ungern auf Zahlen festlegen“, sagte Stolpe. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck verwies noch einmal auf das Besondere der Hartz-Vorschläge. „Die Kommission diskutiert tabulos und innovativ. Sie stellt sich große Ziele“, so Platzeck. „Wenn am Ende nicht alles umgesetzt wird, hat sich die Anstrengung dennoch gelohnt.“
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