piwik no script img

Die gemeinste aller Stubenfliegen

Das Zweite traut sich was: Der von ihm finanzierte Film „Gefährliche Nähe und du ahnst nichts“ will ein Seuchen-Schocker sein und zeigt familiäre Abgründe auf. Ausgestrahlt wird der Thriller aber erst mal auf Arte (20.40 Uhr), später im ZDF – vielleicht

Von CHRISTIAN BUSS

Der Schutz der Familie ist den Gewaltigen des ZDF heilig. Die Welt, so wie sie das Zweite von 18 bis 22 Uhr malt, sieht aus wie ein einziger Maggie-Werbespot. Zwischen „Nesthocker“ und „Samt und Seide“, zwischen „Tierarzt Dr. Engel“ und „Forsthaus Falkenau“ bleibt wenig Platz für Zweifel an der Familie als effektivste Organisationsform zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Sollten sich dann doch mal Risse durch die Idylle ziehen, werden sie mit restaurativer Akkuratesse sofort wieder beseitigt.

Wie ein Akt der Unterwanderung wirkt da der Zweiteiler „Gefährliche Nähe und du ahnst nichts“, der viel besser ist, als sein Titel vermuten lässt. In dem Spionagethriller geht es um Experimente an Stubenfliegen, die im Auftrag der Nato zu potenziellen Krankheitserregern herangezüchtet werden. Es geht aber auch um Familien, und die scheinen in diesem maßvoll ekligen Insektenschocker schon lange von einem gefährlichen Virus befallen zu sein. Jedenfalls befinden sie sich in einem Zustand des Verfalls. Man spürt förmlich den Verwesungsgeruch, der sich in den Eigenheimparadiesen breit macht. Auf der andereren Seite erinnern einige der auf Hochglanz polierten Famlienrefugien in ihrem aseptischen Ambiente an die Labore, in denen die Killerfliegen herangezüchtet werden. Das Leben findet auf jeden Fall woanders statt.

Madige Familien

Der subversive Thriller erlebt – wie viele andere öffentlich-rechtliche Produktionen – aus Lizenzgründen auf Arte seine Erstausstrahlung, wurde aber vom ZDF finanziert. Möglicherweise ist er dort nächstes Jahr noch mal zu sehen. Möglicherweise verspürt man beim ZDF aber auch gar nicht das Bedürfnis, ihn über den eigenen Sender auszustrahlen. Die wenig vorteilhafte Darstellung des transatlantischen Verteidigungsbündnisses sorgt ebenso für Verstörung wie das Familienbild, das Regisseur und Autor Hartmut Schoen („Vom Küssen und Fliegen“) in sein Werk schmuggelt: Während ein verzweifelter Forschervater seinem Sohn eine Schachtel hochgradig infektiöser Insektenlarven unterschieben will, überredet der Chef des MAD seine Tochter zu einem Schäferstündchen mit einem Informationsträger.

Als Politkrimi ist „Gefährliche Nähe“ nur mäßig; der über zwei Teile reichende Spannungsbogen (2. Teil, Morgen, 20.45 Uhr) droht schon mal zusammenzustürzen, und die technologischen Aspekte der Seuchen-Story bleiben diffus. Doch als Studie über dysfunktionale Familiengefüge entwickelt der großartig besetzte Film eine beachtliche Schärfe. Im Mittelpunkt steht der Biologe Buchheim (Hans-Michael Rehberg), der jahrelang für das Militär Genversuche an Fliegen durchgeführt hat und inzwischen von Zweifeln geplagt wird. Sein eigenes Kind hat ihm wegen seines Jobs schon lange den Rücken gekehrt. Nun ist der Wissenschaftler auf der Flucht vor dem MAD. Einmal sieht man ihn keuchend im Unterhemd, die Angst hat ihm die Luft zum Atmen genommen. Ein gebrochener alter Mann ist Buchheim, aber als er den verlorenen Sohn (Johannes Brandrup) in seine Probleme einweiht, will er ihm immer noch Befehle erteilen. Nachwuchs-Agentin Peggy (Claudia Michelsen) hat’s ein bisschen besser: Ihr Vater ist ein Typ zum Knuddeln, als oberster Dienstherr beim MAD kann er aber auf subtile Art eine Zumutung werden – eben wenn er seine „Kleine“ als erotischen Lockvogel auf den Sohn des Observierungsobjekts ansetzt.

Durch die familiären Verstrickungen steigert sich die Arbeit des MAD ins Ungeheuerliche. Nach und nach erschließt sich der jungen Agentin, dass sie von einem Haufen Wahnsinniger umgeben ist. Da ist zum Beispiel ihr Vorgesetzter, der ewig schreiende Häussler (Henry Hübchen). Zu Hause spielt der Choleriker seiner komatösen Mutter Klaviersonaten vor. Als seine einzige große Liebe schließlich stirbt, dreht der aggressive Ödipus durch. Peggys Dienstpartner (Felix Eitner) nimmt ebenfalls bedrohliche Züge an: Erst streunt er wie ein verliebter Dackel um sie herum, später entwickelt er psychopathische Merkmale. Auch er hat einen Sohn, aber den sieht man nur einmal, als er traurig dem Auto seines Vaters hinterherblickt.

Von derangierten Patriarchen und verstörten Kindern wimmelt es in dem Politreißer. So wird die Paranoia, die sich heute unweigerlich einstellt, wenn das Reizwort „Biowaffen“ fällt, konsequent in die privatesten Bereiche gewendet. Das dürfte den Bossen des Familiensenders ZDF wirklich nicht gefallen haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen