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Das Eisenman-Revier

Ein amerikanischer Architekt und Berlin. Eine transatlantische Affäre aus zwei Projekten, vielen Entwürfen, Fasziniertsein von den historischen Schichten der Stadt und haufenweise Theorie. Peter Eisenman, der Erbauer des Holocaust-Mahnmals, wird 70

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

„Schreiben Sie, ‚Peter Eisenman is a nice guy.‘ Und noch eine Bitte: Schreiben Sie diesmal nicht wieder: ‚Mahnmal gefährdet‘.“ Wer so spricht, will geliebt werden, will endlich ankommen, will, dass man ihn und seine Sache ernst nimmt. Wo? In Berlin.

Eisenman ist seit 70 Jahren New Yorker. „Ich bin ein amerikanischer Architekt“, sagt er oft. Auch, dass Berlin die vielleicht interessanteste Stadt für einen Architekten ist. Wie oft er hierher geflogen ist, kann man nicht mehr zählen. Klar jedoch ist, Eisenman ist seit seinem ersten Besuch 1982 mit der Stadt und ihrer Geschichte beschäftigt, die ihn „anzieht“, „schockiert“, die ihm „wichtig“ ist und auf deren Suche er sich mit baulichen „Spuren in der dritten Dimension“ seither immerfort befindet.

Berlin reagiert auf derartige Interessenbekundungen auf seine Weise. Nicht erst seit der Debatte um sein umstrittenes Holocaust-Mahnmal wurde Eisenman vor den Kopf gestoßen. Sein Entwurf (1995) für ein Megahochhaus an der Friedrichstraße nahe dem Berliner Ensemble in Form einer autonomen Gebäudeskulptur, die sich 130 Meter spiralförmig nach oben windet, am Himmel einen großen Bogen schlägt und wieder zur Erde zurückkehrt, hat nur Kopfschütteln in der Stadt der Blockrandbebauungen erzeugt. Wolkenkuckucksräume dort und Alltagswelten hier, Eisenmans utopisches Zitat des Mies-van-der-Rohe-Hochhausentwurfs am Bahnhof Friedrichstraße (1921) wollte keiner ernst nehmen. Die Spreemetropole und Eisenman passten nicht zusammen in einer Zeit, da der Berliner Architekt Jürgen Sawade schon mal „Stadtverbot“ für internationalistisch agierende Kollegen forderte.

Manchmal ist das auch anders: Als Peter Eisenman auf dem Weltkongress der Architekten (UIA) vor zwei Wochen in Berlin einen Vortrag hielt, war er der Star in der Stadt. Und er genoss das.

Berlin und Eisenman sind kurz aufgelistet zwei Projekte, mehrere Entwürfe und ein Haufen theoretischer Papiere, in denen die Arbeiten begründet werden: das vielleicht nicht ganz gelungene Wohnhaus in der Kochstraße (1987) für die Internationale Bauaustellung IBA, das geplante Holocaust-Mahnmal, das 2004 eröffnet werden soll, der Hochhaus-Entwurf am Schiffbauer Damm und der Plan für ein „Museum der künstlich ausgegrabenen Stadt am Checkpoint Charlie“ (1981).

Allen Projekten für Berlin ist gemeinsam: Anders als die Architekten der Postmoderne, die das Zitat als bauliche Chiffre in den Mittelpunkt ihrer Planung stellten, geht es Eisenman um etwas ganz anderes: nämlich um die kritische Rekonstruktion Berlins durch die bauliche „Sichtbarmachung der Anti-Erinnerung und des Unbewußten“. Es geht um „Störung“.

Für die Begegnung mit Berlin 1982 war Eisenman nicht nur durch seine Theoriearbeit im 1967 gegründeten New Yorker Institut für Architektur und Städtische Studien und die Beschäftigung mit Noam Chomskys Transformationsprozessen sowie mit den französischen Strukturalisten und ihren Ideen von der Brüchigkeit kultureller Konventionen vorbereitet. Berlin bot sozusagen den „spezifischen Reiz“ vieler sich überlagernder Schichten von Alt und Neu, Freiräumen und Blöcken, chaotisch angeordneten und streng regelmäßigen Bebauungen. Die wilde Stadt im Schatten der Mauer war sein Revier, Eisenman-Revier.

Eisenman ging wie ein Jäger durch die Stadt. Als der Architekt Anfang der 80er-Jahre durch die südliche Friedrichstadt mit ihren Bombenlücken und den noch vereinzelt stehenden Gebäuderesten wandert, um den Genius loci für das Wohngebäude an der Kochstraße zu erkunden, erscheint ihm das Quartier nicht als unbestimmte Fläche, deren Lücken zu schließen sind, sondern als „symbolischer Ort in einer der ausgefallensten Gegenden der Welt“. Berlin und insbesondere die Kochstraße waren historische Ausnahmeszenarien aus Vorkriegsepoche, Nazizeit, Weltkrieg und Nachkriegszeit. „Diese Stelle lag im Schatten der Berliner Mauer“, erinnert sich Eisenman, „und sie verlangte, als beispielhafter Ort im Sinne des historischen Hintergrunds der Stadt, eine architektonische Lösung, die den kulturellen Bedeutungen genügend entspricht.“

Für den Berliner Architekten Josef Paul Kleinhues ist Eisenmans fünfstöckiges Wohnhaus in der Kochstraße ein Bau „mit den Mitteln der Collage und der Dekomposition, der ganz seiner surrationalen Denk- und Arbeitsweise entspricht“. Es besteht aus keiner glatten Fassade oder einem geschlossenen Volumen, sondern ist aus vielen verkanteten Baukörpern und wechselnden Materialien geformt, hat Durchgänge, Höfe und innere Straßen, die mit der Struktur und den Veränderungen des Berliner Stadtgrundrisses spielen, ihn zerlegen und neu ordnen. Das Haus als Zerrspiegel der Berliner Geschichte?

Eisenmans Methode der spielerisch-kritischen Rekonstruktion hat in der Folge nicht nur Architekten wie Kleihues beeinflusst, die im Rahmen der IBA planten, sondern reicht bis zum Entwurf für das Jüdische Museum von Daniel Libeskind, das ebenfalls die Stadtgeschichte und den -grundriss auf eine eigenwillige innovative Weise interpretiert.

Ist das Holocaust-Mahnmal Eisenmans Schlussstein für Berlin? Der Mann wird schließlich 70, und wer sich wünscht, als nice guy tituliert zu werden, signalisiert Alterslässigkeit. Vielleicht. Mit Sicherheit ist der New Yorker Architekt mit dem Mahnmal-Projekt aus 2.700 Stelen, in deren verwirrender Vielzahl man sich wie in einem unendlichen Labyrinth verläuft, in Berlin auf seine Weise angekommen. Das Holocaust-Mahnmal ist sein architektonisch-kunstvolles Vermächtnis an die Stadt, in welcher der Mord an sechs Millionen Juden ihren Ausgangspunkt nahm. Denn für Eisenman bedeutet der Mahnmal-Entwurf keine pure Erinnerungsskulptur an die Geschichte, sondern ist, wie bei seinen Bauten, eine Auseinandersetzung, „eine Störung“, mit der Historie durch die Erfahrung von Raum und Zeit.

Es klingt vielleicht paradox, aber Eisenmans Holocaust-Mahnmal ist auch eine Abrechnung mit Berlin – ist Trauerarbeit um die ermordeten Juden. „Von weitem“, sagte er im November 2001, „bekommt man den Eindruck eines reifen Feldes, einer wogenden Welle. Ich erinnere mich, wie ich 1952 in Iowa zum ersten Mal in ein Maisfeld hinein ging, an einem grauen Tag, um mir einen Kolben zu pflücken. Ich ging 100 Meter in das Feld hinein und bekam auf einmal einen enormen Schreck, weil ich nicht mehr wusste, auf welchem Weg ich herausfinden sollte. Ich denke, der Schrecken, im Raum verloren zu sein, ähnelt dieser Erfahrung: der Möglichkeit im Raum verloren zu gehen.“

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