: Die nächste Episode
Verschwindet die CD bald vom Markt? Noch stilisiert die Musikindustrie den Schutz vor Raubkopien zur alles entscheidenden Existenzfrage. Doch die Branche steht vor einem grundsätzlichen Umbruch
von THOMAS WINKLER
Es waren gute Nachrichten. Die Mitarbeiter von Universal waren in den neuen Berliner Büroräumen noch dabei, die Umzugskisten auszupacken, als vermeldet wurde, dass der Unterhaltungskonzern gleich die ersten drei Plätze der LP-Charts besetzte. Insgesamt erreichte Vivendi Universal Anfang Juli im Longplay-Bereich einen Marktanteil von fast vierzig Prozent.
Das Problem: Dieser Markt ist nicht mehr so groß, wie er es einmal war. Major-Konzerne und Independent-Labels klagen in ungewohntem Gleichklang über ihren eklatante Umsatzeinbruch. Und Universal ist nun die erste Plattenfirma, die deshalb einen leitenden Mitarbeiter ausschließlich mit dem Kampf gegen Piraterie betraut. Mitte Juli bezog David Benjamin in New York seinen neuen Posten als „Senior Vice President Anti-Piracy“.
Seine Aufgabe ist nicht gering: 173,4 Millionen CD-Alben etwa wurden 2001 allein in Deutschland verkauft. Und 182 Millionen CDs selbst gebrannt von 17 Millionen Deutschen. Zusätzlich luden 5 Millionen Menschen 492 Millionen Songs aus dem Internet, ohne dafür zu zahlen. Schätzt die Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag der Musikindustrie und pronostiziert für die Zukunft schon mal weiter steigende Zahlen. Gar nicht abzusehen ist, wie viel Umsatz den Branchenriesen im östlichen Europa flöten geht, wo auf Flohmärkten fast nur Selbstgebranntes umgesetzt wird.
Die Musikindustrie führt deswegen eine Schlacht an vielen Fronten und fordert: Kopierschutz für CDs, höhere Abgaben auf CD-Rohlinge und ein Urheberschutzgesetz in ihrem Sinne. Dazu rotieren die Lobbyisten, und haben schon Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin auf ihre Seite gebracht: Der ließ verlauten, Raubkopien stellten eine Bedrohung für die Kunstschaffenden dar.
Manch einer von denen fühlt sich sogar ganz persönlich angegriffen: Ginge es nach ihm, ließ Joachim Witt unlängst verlauten, würde er auf seinen CDs nicht nur schwülstigen Arno-Breker-Pop, sondern auch Programme abspeichern lassen, „die sofort das Betriebssystem zerstören, sobald die CD in den Computer geschoben wird. Gnadenlos.“
Die Plattenfirmen bemühen sich bislang noch weniger gewalsam um den Schutz des geistigen Eigentums und lassen ihre Produkte im Presswerk mittlerweile mit einem Schutz versehen. Nur die technische Umsetzung ist noch verschieden weit gediehen: Die meisten Kopierschutzsysteme halten sich nicht an den Industriestandard und verhindern so, dass CDs auf einem Rechner abgespielt werden können. Andere verringern die Datenmenge der einzelnen Tracks und produzieren deshalb beim Kopieren minderwertige Qualität. Das Ergebnis ist dasselbe: Das Brennen digitaler Kopien wird verhindert, oder zumindest unattraktiver.
Ob sie nun SafeAudio heißen, Key2Audio, Cactus Data Shield oder MediaCloQ, fast alle dieser Systeme weisen allerdings Kinderkrankheiten auf: Manche CD-Player weigerten sich, kopiergeschützte CDs abzuspielen, andererseits war vielen Computern dafür der Kopierschutz herzlich egal. Und im Internet kann man ohnehin Programme herunterladen, die ihn knacken. Auch Computerzeitschriften und Websites wie cdfreaks.com bringen regelmäßig in Specials die neuesten Kopiertricks an den Interessenten. Doch die Industrie ist mit dem aktuell Erreichten insgeheim zufrieden: Der durchschnittliche Verbraucher weiß im Normalfall nicht einmal, dass die frisch gekaufte Musik nicht mehr kopiert werden kann. Und die wenigen, die die Energie aufbringen, die technischen Barrieren zu überwinden, hofft man, vernachlässigen zu können. „Der Endverbraucher“, so Peter Zombik, der Geschäftsführer des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft, „hat den Kopierschutz akzeptiert.“
Endverbraucher Jörg Dennis Krüger ist da entschieden anderer Meinung. Er organisiert die Website www.gegen-den-kopierschutz.de und glaubt, dass die Musikindustrie ihre Probleme „auf die Raubkopierer abschiebt“. Er weist darauf hin, dass Konzerne wie Sony nicht nur Musik verkaufen, sondern auch gleich die Brenner und Leer-CDs, mit denen sie kopiert werden kann. Er glaubt, die Plattenfirmen wollen nur doppelt abkassieren: „Warum soll ich Gema-Gebühren für meinen Computer zahlen, wenn es Kopierschutz gibt?“
Auch andere ärgern sich über die Schikane: Im März verlieh das Computer-Magazin Chip erstmals die „Bremse des Jahres“: Ausgezeichnet wurde der Phono-Verband für seinen Feldzug gegen digitale Audiokopien. Für professionelle Raubkopierer ist der Kopierschutz kein Hindernis, der Verbraucher aber könne sich keine Kopie mehr für den CD-Wechsler im Auto ziehen, so das Argument. Kurz zuvor hatte die Fachzeitschrift Audio in einem Test festgestellt, dass manche Kopierschutzsysteme die Klangqualität mindern.
Die Fronten sind verhärtet, und auf beiden Seiten hat sich reichlich Mythenmüll angesammelt. Die Musikindustrie schiebt ihren Umsatzrückgang, 10,2 Prozent im vergangenen Jahr, allein auf die Raubkopien. Die Kopierschutzgegner suggerieren derweil, dass selbst unbescholtene Käufer in die Kriminalität gedrängt werden, wenn das Umgehen des Kopierschutzes demnächst unter Strafe gestellt werden sollte. Die Industrie argumentiert wiederum, es gäbe auch „keinen Anspruch auf die private Vervielfältigung“. Also: Wer kopieren kann, darf für sich selbst kopieren. Wer nicht kann, hat halt Pech gehabt und eine CD mit Kopierschutz gekauft. Auch dieses Problem muss noch vor Gericht geklärt werden.
Die Gegner finden es ohnehin nicht so schimm, dass vor allem die großen Musikkonzerne geschädigt würden, denn unter Teenies werden nahezu ausschließlich die CDs der Mega-Stars gedealt. Für die Musikindustrie aber gilt der Pausenbetrieb auf deutschen Schulhöfen längst als florierender, illegaler Handel mit Hang zu mafiösen Strukturen, der dafür sorge, dass die Plattenfirmen wegen sinkender Einnahmen den Nachwuchs nicht mehr fördern könnten. Die Wahrheit liegt wohl wie immer irgendwo in der Mitte.
Grundsätzlich aber ist der Streit um den Kopierschutz nur ein Aspekt einer Entwicklung, an deren Ende Digitalisierung und Internet die Musikindustrie komplett verändert haben werden. „Ziel der Tonträgerwirtschaft ist es“, wird auf der Website des Bundesverbands der Phono-Wirtschaft ganz offen zugegeben, „unkontrolliertes (und deshalb nur pauschal vergütbares) in kontrolliertes (verbietbares oder gegen nutzungsbezogene Vergütung erlaubbares) Kopieren zu überführen.“ Im Klartext: Am liebsten wäre es der Industrie, dass jedesmal, wenn ein Musikstück abgespielt wird, ob zu Hause oder öffentlich, die Kasse einzeln klingelt. Mit der CD als potenziell unendlich oft abspielbares Medium aber hat man sich selbst ein Ei gelegt.
Überwältigt von der Kostenersparnis bei Herstellung, Transport und Lagerung, drückte die Musikindustrie die CD auf den Markt, ohne zu bedenken, dass sie fortan mit jeder einzelnen Einheit ein digitales Masterband des Originalprodukts verkaufte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kopierverfahren billig genug für die Massenproduktion wurden. Nun brauchte es kein halbillegales Presswerk in einem Ostblockland mehr, um Kopien zu ziehen. Der PC von Pappi, ein CD-Rohling für eine Mark und ein Besuch im Copyshop reichen heutzutage, um einen nahezu perfekten Klon zu produzieren.
Während der Rest der Branche den Kampf um den Kopierschutz noch zur Existenzfrage stilisiert, progostiziert Tim Renner, Chef von Universal Deutschland und notorischer Vordenker, bereits ein Ende der CD als Trägermedium Nummer eins. Tatsächlich ist das Internet das ideale Verkaufsmedium für die Tonträgerindustrie. Kann sich der Kunde die gewünschte Musik direkt aus dem Netz laden, werden nicht nur Zwischen- und Einzelhandel ausgeschaltet, auch Herstellungs-, Vertriebs- und Lagerkosten entfallen zudem. Noch allerdings werden die Versuche der Industrie, eigene Portale im Internet zu etablieren, über die Musik kostenpflichtig herunter geladen werden kann, von der Kundschaft nicht angenommen: Weil nur zwei, drei Mausklicks weiter bei einer der vielen Tauschbörsen dasselbe Produkt für umsonst zu haben ist.
Andere grundsätzlichere Probleme sind bislang noch nicht einmal angedacht. Nicht nur, dass Tracks, die aus dem Netz geladen werden, computerkompatibel sein müssen und so kaum noch kopierschutzfähig sind. Die Existenzberechtigung der ganzen Branche wird in Frage gestellt, wenn jeder Künstler ohne großen technischen Aufwand seine Werke über das Internet selbst vertreiben könnte.
Deshalb werden sich die Vertriebsmaschinerien von heute wandeln müssen zu Institutionen, die für den Kunden eine Vorauswahl treffen und musikalische Qualität versprechen. Eine Leistung, für die bislang weniger die alles abdeckenden Bauchläden der Major-Firmen bekannt waren, sondern eher Indie-Firmen mit direkten Bezug zu Künstlern und Kunden.
Doch bei kleinen, unabhängigen Labels macht man sich keine große Hoffnung, das Netz könnte tatsächlich zu Wettbewerbsvorteilen führen: Immer wichtiger, so wird befürchtet, dürfte die Höhe eines Werbeetats werden, um ein Produkt im World Wide Web hervorzuheben. „Aber so haben wir schon gejammert, als das Vinyl vom Markt verschwand“, macht sich der Independent-Veteran Alfred Hilsberg vom Hamburger Label What’s So Funny About Hoffnungen.
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