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Morde für die nationale Sicherheit

Auf der Suche nach effektiven Verhörmethoden setzte der US-Geheimdienst CIA in den Fünfzigerjahren Kriegsgefangene unter Drogen und folterte sie. Die Dokumentation „Deckname Artischocke“ (ARD, 21.45 Uhr) versucht Licht in die Sache zu bringen

von ROLAND HOFWILER

Die Geschichten klingen so haarsträubend, als hätte Ian Fleming sie für ein Abenteuer seines Helden 007 erdacht. Doch kaum jemand kennt ihn, den James Bond der CIA, genannt Sidney Gottlieb aus der New Yorker Bronx, alias Joseph Schneider aus Budapest. Bis ins hohe Alter trieb der Agentenchef, der vor zwei Jahren verstarb, sein Unwesen. Gottliebs frankensteinischer Forschereifer steht für eines der düstersten Kapitel des amerikanischen Geheimdienstes, eines Kapitels, das bislang in Deutschland keine Beachtung fand – obwohl es einst auch in Oberursel bei Frankfurt und im geteilten Berlin spielte.

Am heutigen Montagabend, zu guter Sendezeit zwischen 21.45 und 22.30 Uhr, strahlt das Erste die Dokumentation „Deckname Artischocke – Die geheimen Menschenversuche der CIA“ aus. Der Beitrag versucht etwas Licht zu bringen in die streng abgeschirmte Abteilung für biologische Kriegsführung bei der CIA. Ab 1952, das ist mittlerweile verbrieft, leitete Gottlieb das Kommando über diese dubiose Einrichtung, und er zeichnete verantwortlich für die jahrzehntelang außerhalb jeglicher Legalität durchgeführten Experimente zur Gehirnwäsche. Die Opfer wurden mit halluzinogenen Drogen wie LSD voll gepumpt, unter Hypnose gesetzt und gleichzeitig gefoltert. Man wollte ihren Willen brechen und vermeintlichen Sowjetagenten so ihre Geheimnisse entlocken. An die Tortur sollten sie, wenn der „Trip“ vorbei war, keine Erinnerung mehr haben. Doch damit nicht genug: Die Abteilung biologische Kriegsführung forschte auch an einem möglichen Einsatz von Milzbranderregern, mit genau jenen Anthraxbakterien, die Amerika nach dem 11. September 2001 in Angst und Schrecken versetzten und fünf Menschen das Leben kosten sollten.

Anthrax ist zurück

Ist es nun reiner Zufall, fragen sich die Autoren der Fernsehdokumentation, dass die jüngsten Anthraxspuren genau aus jener biologischen Waffenschmiede in Fort Detrick, Maryland, stammen, wo sich einst die zentrale Forschungsstätte für biologische Kriegsführung befunden hatte? Welche geheimen Projekte laufen derzeit bei der CIA, etwa wieder Menschenversuche?

Auf all diese aktuellen Fragen versucht auch Eric Olsen, der Kronzeuge des Films, eine Antwort zu finden – aus persönlichen Gründen. Denn so glatt wie sich die Mannschaft um Gottlieb einst ihre Menschenversuche vorstellten, liefen sie in der Realität nicht ab. Da war etwa Erics Vater, Frank Olson, zu seiner Zeit einer der renommiertesten amerikanischen Wissenschaftler der Biochemie, den schnell moralische Zweifel packten, als sich die CIA nach Ende des Zweiten Weltkriegs für ihn zu interessieren begann. Er wurde in das Gottlieb-Projekt eingespannt und sollte an der Verbesserung von Halluzinogenen mitarbeiten, um das Erpressen von Geständnissen zu erleichtern. Zu diesem Zweck entsandte ihn die CIA, wie sein Sohn erst jetzt herausfand, in Kriegsgefangenenlager auf dem europäischen Kontinent.

Gequält mit Drogen

In Oberursel und Berlin wurde Olson Augenzeuge, wie gefangene deutsche Soldaten, aber auch Flüchtlinge aus Osteuropa und einige als Sowjet-Spione inhaftierte Männer bei CIA-Verhören so lange mit Drogen gequält wurden, bis sie starben. Olsen wollte aussteigen, seinen Dienst als Wissenschaftler bei den Menschenversuchsprogrammen aufgeben. Doch das konnte die CIA nicht zulassen. Denn Olson kannte Staatsgeheimnisse auf dem Gebiet der biologischen Kriegsführung, die um keinen Preis bekannt werden durften – also musste auch er liquidiert werden. Davon zumindest ist sein Sohn überzeugt.

Frank Olsen starb am 28. November 1953, gegen zwei Uhr nachts, durch einen Fenstersturz aus dem 13. Stock des „Pennsylvania Station Hotel“ in New York. Es war Selbstmord, hieß es damals vonseiten der untersuchenden Ärzte. Erst Jahrzehnte später konnte Sohn Eric eine neue Leichenobduktion erwirken und ein Ärztegutachten, wonach vieles darauf hindeutet, dass sein Vater ermordet worden war. Von all dem handelt der Film. Immer dicht auf den Fersen des Sohnes ist das Kamerateam, und es gelingt den Fernsehjournalisten, auch einige Zeitzeugen zu interviewen, die bislang zu den Ereignissen geschwiegen hatten. Das ist das große Verdienst der Dokumentation. Ihr größtes Manko jedoch ist: Die Story wird ausschließlich aus der Sicht von Eric Olsen erzählt, was nicht immer der Wahrheit dienen muss. Und um den Lauf der Erzählung nicht zu komplizieren, wurden unzählige Details ausgeblendet, selbst die Rolle, die Hauptkoordinator Gottlieb spielte, findet keine Erwähnung.

Dennoch: „Deckname Artischocke“ ist sehenswert. Für wirklich tiefgründige Informationen werden Interessierte sich allerdings ins Internet begeben müssen (wdr.de/tv/dokumentation/artischocke.html).

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