: Bremische Ziegelseligkeit
In Erwartung der Verleihung des Bremer BDA-Preises berichtet die taz in einer Serie über die bisherigen Preisträger und damit über ein Stück lokaler Architekturgeschichte. Heute (4) die Gewinner des BDA-Preises 1986: im Banne des Backsteins
In ihrer Frühzeit galt die Bremer Universität als rote Kaderschmiede. Ganz unpassend dazu: die Farbe ihrer Bauwerke. Die waren nämlich betongrau. Diese Farbe zeigte auch das 1984 vollendete Produktionstechnik-Gebäude (Architekt: Klaus Zeiger vom Hochbauamt), ein langgezogener Riegel, an seiner Stirnseite angedockt an den aufgeständerten „Boulevard“. Der „intelligenten Ordnung“ und dem „homogenen“ Äußeren dieses Bauwerks konnte die BDA-Jury aber nicht widerstehen: ein Preis für Zeiger.
Der Zeiger-Riegel blieb damals die einzige „graue Maus“ unter den prämierten Neubauten. Ansonsten überwog in der Architektur Bremens und Bremerhavens Mitte der Achtziger und bei den BDA-Preisträgern 1986 eindeutig die Farbe Rot: backsteinrot. Ideologisch gesehen stand dieses Rot aber weniger für gesellschaftlichen Aufbruch als für bauherrliche Tradition.
In Zeiten des Regionalismus in der Architektur setzte sich der zwar nahe liegende, aber historisch keineswegs untermauerte Gedanke durch, für die Bremer Baugeschichte sei die Verwendung des traditionellen norddeutschen Baumaterials Backstein charakteristisch. Sein Einsatz sei deshalb auch für das aktuelle Bauen zu empfehlen. Die neue Liebe zum roten Stein bedeutete aber nicht, dass nun weniger Beton verbaut worden wäre – man sah ihn nur nicht mehr hinter der Verblendschicht.
Die Folge des äußerlichen Materialzusatzes: Die Gebäude wurden wuchtiger in ihren Proportionen und erschienen optisch schwerer – eine Wirkung, gegen die mit architektonischen Mitteln allerdings nur schwer anzukommen war. Gleichwohl erscheint das 1986 preisgekrönte Technologiezentrum von Gert Schulze und Heinrich Campe in Uni-Nähe nur ein einziger Versuch dessen zu sein, die Backsteinschwere durch filigranes Beiwerk zu entkräften.
Eines der Argumente für den Ziegelbau lautete, durch das einheitliche Kleid ließe sich das chaotische Stadtbild beruhigen. Doch das war schon aufgrund der individuellen Wünsche von Kunden und Architekten fragwürdig. Auch die reichhaltige Produktpalette der Ziegelindustrie stand dagegen. Wer gedacht hatte, Ziegelstein sei Ziegelstein, sah sich getäuscht. Rot war nur eine Möglichkeit: Das Farbspektrum der gebrannten Steine reichte von Gelb bis Dunkelviolett. Um einen Distinktionsgewinn zu erzielen, importierte ein Architekt seinen „typisch norddeutschen“ Verblendstein auch schon mal aus Bayern, wo er ein besonders ausgefallenes Produkt entdeckt hatte.
Bei all dieser bremischen Ziegelseligkeit ging fast unter, dass man anderenorts den Siegeszug der postmodernen Architektur ausgerufen hatte, jenen verspielten Freistilhistorismus, der von Amerika aus die Welt eroberte. Lediglich die gehäufte Verwendung von Giebelmotiven bei den Preisträgern deutet auf diesen Zeitgeist hin. Bremens prominenteste Postmodernisten Wolfram Goldapp und Thomas Klumpp gingen mit Bauten wie der Eislaufhalle und der Wohnanlage Marterburg allerdings leer aus.
Konzeptionell verwandt mit den Marterburg-Häusern war Peter Webers preisgekrönte Reihenhausanlage Deichstraße im Zentrum Bremerhavens. Verwandt, aber doch gesetzter – wie seine handverlesenen Bewohner. Hinter den individualisierten, gleichwohl aufeinander abgestimmten Fassaden dieser „Stadthäuser“, die an ein imaginiertes Amsterdam erinnern, durfte man das exklusive Gefühl genießen, Stadtbürger zu sein – ganz im alteuropäischen Sinn, aber letzlich mit allem Komfort der stadtzerstörerischen Moderne.
Überhaupt scheint es den Juroren in Bremerhaven-Mitte gut gefallen zu haben. Gleich um die Ecke fanden sie das nächste preiswürdige Bauwerk: den Um- und Erweiterungsbau der ehemaligen Carlsburg-Brauerei zum neuen Hochschulstandort der Seestadt. Die romantisch wirkende Anlage stammte von dem prominenten Kölner Architekten Gottfried Böhm.
1979, beim Architekturwettbewerb zum neuen Hochschulgebäude hatte auch ein anderer Entwurf Furore gemacht: ein bugförmiger Klinkerbau, der ganz bewusst auf die Form eines Dampfers anspielte. Der Architekt war ebenfalls prominent und stammte auch aus Köln: Oswald Mathias Ungers. Einen ganz ähnlichen Schiffshaus-Entwurf hat Ungers dann ein paar Jahre später fünfzig Meter weiter mit dem Alfred-Wegener-Institut realisieren können. Es versteht sich fast von selbst, dass auch der 1986 einen Preis zugesprochen bekam. Das etwas kryptisch anmutende Urteil der Jury: „In diesem Gebäude wachsen die Abstraktionsebenen von Proportionen, Maßverhältnissen und geometrischen Bezügen zu einer Gestalt von ikonografischer Qualität zusammen, die der Unverwechselbarkeit des Ortes entspricht und ihm eine Steigerung der Identität verleiht.“
Da fragt man sich, ob der fast gestaltgleiche Carlsburg-Entwurf, wäre er realisiert worden, ebenfalls der Unverwechselbarkeit des Ortes entsprochen und seine Identität gesteigert hätte? Und man könnte darüber spekulieren, was das für eine Stadt auf der Suche nach ihrem Genius loci bedeutet.
Eberhard Syring
In der nächsten Folge erreichen wir mit dem BDA-Preis 1990 das rettende Ufer der Neunziger, eines Jahrzehnts, in dem die Architektur zu neuem Selbstbewusstsein gelangte. In den preisgekrönten Bremer Beispielen (vor allem Industrie- und Institutsbauten) kann man eine vorsichtige Rückorientierung zur modernen Formensprache erkennen.
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