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Fremdenführer in eigener Sache

Eine Sehnsucht ist eine Sehnsucht: Yüksel Pazarkaya berichtet in seinem neuen Roman „Ich und die Rose“ von der schwierigen Heimkehr eines Gastarbeiters in die Türkei – aus der zuletzt eine Pilgerfahrt in die eigene Kindheit wird

Yüksel Pazarkaya ist eine zentrale Gestalt der türkisch-deutschen Kulturvermittlung. Seit 40 Jahren betreibt er als Kolumnist, Radiojournalist, Kinderbuch-, Hörspiel- und Drehbuchautor, als Verfasser von Gedichten ebenso wie durch seine Übersetzungstätigkeit programmatisch „Grenzüberschreitungen“.

So auch in seinem ersten, gerade auf Deutsch erschienenen Roman „Ich und die Rose“ – 1989 bereits unter dem Titel „Ben Araniyor“ (Der Ich-Sucher) in Istanbul veröffentlicht. Orhan Barut, ein in Deutschland lebender türkischer Elektroingenieur, begibt sich nach Jahrzehnten langer Absenz auf die Reise zurück in die Heimat. Er hat in der Fremde gelebt, ohne je wirklich dort anzukommen, und erwartet nun, endlich in „sein Element“ zurückzukehren.

Aber die Rückkehr gestaltet sich äußerst schwierig. Orhan, eine sanfte und skrupulöse Natur, findet sich in der einstigen Heimat nicht mehr zurecht – nicht allein, weil er Verständigungsschwierigkeiten hat. Die Verhältnisse haben sich geändert. Früher hatte man sich noch an den Rändern Izmirs zum Picknick im Olivenhain getroffen. Aber die einst paradiesischen Grünflächen gehören heute zu den Slums der Stadt. In der einstmals heilen Welt seiner Kindheit trägt heute jeder eine Waffe, die höchste Kunst ist hier das Überleben selbst.

Die Viertel sind zubetoniert, und mit den Elternhäusern sind die Kindheiten verschüttet. Dem Heimkehrer ist der Zugang versperrt. Da begegnet Orhan einem jungen Straßenverkäufer, der ihn als „Fremdenführer“ in diese sich entziehende Heimat zwischen Bahnhof und Bazar einweist. Der Junge hat einen guten Draht zu allen wichtigen Figuren der Stadt, den Taxifahrern, Bäckern und Bossen. Izmir ist seine Welt. Doch zuletzt ist es Gül – „die Rose“ –, eine liebende Frau, die in der Mitte der Stadt, damit gewissermaßen im Herzen der Geschichte, darauf wartet, Orhan von seiner Suche zu entbinden.

Pazarkaya wagt es, noch einmal die Rose als Metapher aller Metaphern für die Frau aller Frauen einzusetzen. Sein Buch lebt auch von der parabel- und gleichnishaften Rede. Die Figurenschilderungen über die Barttracht oder Handlungen wie die Kunst des Teetrinkens spielen ins Mythische, Märchenhafte und Archetypische hinüber. Pazarkayas Prosa ist lyrisch, sie versucht, die Schnelllebigkeit moderner Zeiten mit der Seelenruhe der Vergangenheit zu synchronisieren. Da ist noch ein Rest der Hochgestimmtheit und Hochherzigkeit des osmanischen Diwans in dem Buch.

Aber zugleich schiebt sich die ganze Palette handfester Missstände in den Blick, die in der modernen Türkei die Tagesordnung ausmachen: Landflucht, Sperrstunden, Schutzgelderpressung, bis hin zu Gefängnis, Folter und Mord. Orhan kommt mit allen Härten der Realität in Berührung. Und doch ist der Bogen, den er auf seiner Reise beschreibt, letztlich ein Weg nach innen.

Wie in der klassischen islamischen Literatur ist das Reisemotiv vergeistigt, und der „Ich- Sucher“ befindet sich auf einer Pilgerfahrt zu sich selbst. Am Ende steht die Erkenntnis, dass der Reisende letztlich nie ankommt: „Das Leben war von Geburt an eigentlich eine einzige Sehnsucht.“ MANUEL GOGOS

Yüksel Pazarkaya: „Ich und die Rose“. Rotbuch, Hamburg 2002, 300 S., 22,50 €

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