: Der den Regen erforscht
Ignacio Rodríguez-Iturbe erhält den Wasser-Nobelpreis. Seine Modelle sagen Europas nasse Zukunft voraus
STOCKHOLM taz ■ Für Ignacio Rodríguez-Iturbe müsste Deutschland in diesem verregneten Sommer ein Traumreiseziel sein. Er ist Regenforscher. Vor 60 Jahren in Venezuelas Hauptstadt Caracas geboren, verheiratet mit Mercedes und Vater von fünf Kindern, ist er seit 1998 Professor an der Princeton University und gilt als einer der führenden Hydrologen der Welt.
Als solcher erhält er den diesjährigen Wasser-„Nobelpreis“, den internationalen Stockholmer Wasserpreis. Laut offizieller Begründung für seine Beiträge zum Verständnis der Hydrologie des Oberflächenwassers, „des Zusammenhangs zwischen Klima, Boden- und Vegetationsstruktur, Oberflächenwasser, Überschwemmungen und Trockenheit“.
Rodríguez-Iturbes Forschungsschwerpunkt ist das Zusammenspiel hydrologischer und meteorologischer Phänomene, wie lang anhaltender, außergewöhnlicher Dürreperioden oder Überschwemmungen, die menschliche Katastrophen, gravierende Umweltschäden sowie große ökonomische Verluste verursachen können. Diese nach einem britischen Hydrologen benannten „Hurst’schen Phänomene“ bereiteten der Wissenschaft lange Kopfzerbrechen. Zwar baut sich die Wasserführung eines Flusses ähnlich dem Thema einer musikalischen Komposition aus sich wiederholenden Mustern auf, aber die Zeitabfolge konnte man früher kaum bestimmen. Verglich man ähnliche Phänomene, war es unmöglich sicher zu sagen, ob bestimmte Prozesse jährlich oder erst alle zehn Jahre wiederkehren. Ende der 60er- und zu Beginn der 70er-Jahre entwickelte Rodríguez-Iturbe ein mathematisches Modell für solche lang anhaltenden und andere extreme hydrologische Phänomene. Dieses Modell findet seither umfassende Anwendung und wird unter anderem dazu verwendet, um Wasserstandsschwankungen beispielsweise im Nil zu erklären.
Mitte der Siebzigerjahre entwarf Ignacio Rodríguez-Iturbe ein weiteres für die Wasserwissenschaft grundlegendes mathematisches Modell: die „Bayesianische Methode“. Ein Werkzeug, das es erlaubt, Informationen aus vielen verschiedenen Quellen mit unterschiedlicher Exaktheit zu kombinieren. Mittlerweile findet dieses nicht nur bei der Wettervorhersage Verwendung, sondern überall, wo es um Risikoanalysen geht – etwa in der Versicherungswirtschaft.
Gerade der Ökohydrologie widmete sich Rodríguez-Iturbe in den vergangenen Jahren verstärkt: Er erforscht die Wechselwirkung zwischen der Hydrologie der Atmosphäre und der Erde sowie der Vegetation innerhalb eines natürlichen Systems. Im Gegensatz zu vielen anderen KlimaforscherInnen, welche eine linear fortschreitende globale Verschiebung von Vegetationszonen vorhersehen, glaubt Ignacio Rodríguez-Iturbe hierbei an eine stabilisierende Wirkung großer Landmassen. Diese hätten – allerdings an ihren küstennahen Randgebieten, wie Europa oder Südasien, nur beschränkt – ihr „eigenes“ Klima, das weniger durch Änderungen in der Erdatmosphäre als durch ihre spezielle regionale Erdfeuchtigkeit, Vegetation und Abdunstung und dem hiervon bestimmten Niederschlag geprägt sei. Diese angebliche Bremswirkung großer Landmassen wurde auch auf der am Sonntag begonnenen Stockholmer Weltwasserwoche kontrovers diskutiert.
REINHARD WOLFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen