: US-Firmenbosse schwören auf Bilanzen
Fast alle Konzerne haben in letzter Minute eidesstaatlich erklärt, dass ihre Zahlen stimmen. Manche hatten Zweifel
NEW YORK taz ■ Es war wie ein Massengelöbnis von Firmenbossen, weil viele US-Unternehmen bis zur letzten Minute gewartet hatten, um ihre Bilanzen bei der Börsenaufsicht SEC zu beeidigen. Die Wall Street reagierte erleichtert, dass die meisten die Frist einhielten. Wenn nicht einmal mehr die Manager Vertrauen in ihre eigenen Bilanzen hätten, hätte das dem Markt den Rest gegeben. „Es beruhigt die Ängste der Investoren ein bisschen – bis zum nächsten Debakel“, meinte Keith Janecek, Chefhändler der Investmentfirma Legg Mason.
Die SEC hatte den Schwur Ende Juni für die Vorstände von 942 Aktiengesellschaften mit einem Umsatz von mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar angeordnet. Damals hatte das Vertrauen in die Bilanzen von US-Unternehmen einen Tiefpunkt erreicht. Grund waren Skandale, die mit dem Energiehändler Enron begannen und zuletzt den Telefonkonzern WorldCom erfassten. Bei rund 700 Firmen, deren Finanzjahr dem Kalenderjahr entspricht, lief die Frist am Mittwoch um 17 Uhr aus. Über 90 Prozent haben die beeidigte Erklärung eingereicht.
Etliche Vorstände waren sich aber doch so unsicher, dass sie nicht wagten, die eigenen Firmenzahlen zu beeidigen. Manche Unternehmen, gegen die schon wegen falscher Buchführung ermittelt wird, darunter die Telefonkonzerne WorldCom und Qwest sowie mehrere Energiefirmen, gaben nur eine Erklärung ab, warum sie sich außerstande sähen, die Korrektheit ihrer Bücher zu bezeugen. Andere, wie der ebenfalls mit seiner Buchführung in die Kritik geratene Mischkonzern Tyco International, verwiesen darauf, dass sie aus Steuergründen nicht in den USA, sondern in Bermuda eingetragen sind. Wieder andere gaben zwar die Erklärung ab, fügten aber hinzu, dass sie bei genauerer Betrachtung doch kleinere Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen entdeckten, so zum Beispiel die Werbeagentur Interpublic Group oder Finanzdienstleister Household International. Selbst Medienriese AOL Time Warner räumte auf einmal ein, man habe wohl ein paar Einkünfte zu viel verbucht.
Doch damit sind die Aktiengesellschaften noch nicht aus dem Schneider. Vor zwei Wochen verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, wonach die Topmanager aller Aktiengesellschaften unabhängig vom Umsatz – und auch von ausländischen, wenn sie an einer US-Börse gelistet sind – regelmäßig ihre Bilanzen beeidigen müssen. Firmenchefs drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis und Bußgelder von bis zu fünf Millionen Dollar für wissentlich falsche Erklärungen. „Es gibt derzeit eine Menge sehr, sehr nervöse Individuen“, sagt die Anwältin Maureen Brundage.
Viele Marktbeobachter bezweifelten zwar, dass die Bilanzschwüre die Vertrauenskrise beheben können, aber die ehemalige Zentralbankerin Susan Phillips sieht doch einen Vorteil, wenn „Topmanager sich stärker auf Buchführungsfragen konzentrieren“. Sie wies darauf hin, dass sich so auch ein ehemaliger Enron-Chef wie Jeffrey Skilling nicht länger darauf berufen könne, er habe von all den Bilanzmanipulationen des Pleite gegangenen Konzerns nichts gewusst.
NICOLA LIEBERT
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