Tonnenschwer den Abhang runter

Selbst wenn Dämme reißen und ganze Städte überflutet werden – die steigende Flut hat bei weitem nicht die gleiche Kraft wie die stürzende, die die Überschwemmung etwa von Dresden verursacht hat

BERLIN taz ■ Sachsen wurde von zwei unterschiedlichen Fluten heimgesucht: einer stürzenden und einer steigenden. Auch wenn die steigende Flut riesige Schäden anrichtet – ihre Wirkung ist bei weitem nicht so verheerend wie die der stürzenden. Selbst wenn Dämme reißen und ganze Städte überflutet werden, hat das steigende Wasser bei weitem nicht die gleiche Kraft wie das stürzende.

Im Osterzgebirge stürzte das Wasser ungebremst zu Tal: Flüsschen wie Zschopau, Weißeritz, Bobritzsch oder Striegis verwandelten sich in Folge der Rekordniederschlagsmengen in reißende Ströme. Mulda, Glashütte, Nossen oder Olbernhau – es gibt Orte, in denen die Wassermassen rechts und links ihres Flussbetts schneisenartig alles wegrissen. Ursache: Die schwefelhaltigen Abgase des bömischen Braunkohlebergbaus haben den Wäldern des Erzgebirgskammes zugesetzt, vor allem im Osterzgebirge, wo der Wald praktisch tot ist.

Das war die erste Flut, die am Dienstag letzter Woche Dresden, Döbeln und Chemnitz erreichte. Der Dresdner Hauptbahnhof wurde nicht etwa von der Elbe verwüstet, sondern vom Wasser der Weißeritz, die zehn Kilometer westlich in die Elbe mündet. Was die stürzende Flut bewirkte, lässt sich derzeit nur erahnen. Ein mathematisches Modell indes kann das Ausmaß verdeutlichen: 10 Kubikmeter Wasser haben ungefähr das Gewicht einer Tonne. Wenn 50 Kubikmeter Wasser einen zehn Meter hohen Abhang hinunterstürzen, haben sie, energetisch gesehen, dieselbe Wirkung wie ein 20 Tonnen schwerer Lastwagen, der mit 80 Stundenkilometern ein Haus rammt.

Die Maltertalsperre hatte etwa eine Million Kubikmeter Wasser der Weißeritz zurückgehalten, bevor sie wasserfallartig überlief und über Freital und Dresden hereinbrach. Andere Flüsse hatten einen solchen Hochwasserschutz nicht. Zum Beispiel die Zwönitz im zentralen Erzgebirge; normalerweise hat das Flüsschen eine Pegelhöhe von 30 Zentimetern. Am Montag Mittag lag sie bei 3 Metern. Oder die Müglitz im Osterzgebirge: In der 200-Seelen-Gemeinde Wesenstein spülte das Bächlein acht Häuser weg, die Hälfte der noch stehenden Hauser muss wegen starker Beschädigung abgerissen werden. Es gibt weder Zufahrtswege noch Trinkwasser, Strom oder Telefon.

Die zweite Flut ist unmittelbare Folge der ersten. Zu den sturzbachartigen Elbzuflüssen auf sächsischer Seite kam das Wasser, das vom Erzgebirgskamm Richtung Böhmen abfloss und über die Eger in die Elbe gelangte. Schließlich kam die Flut der Moldau dazu, die im Bayrischen/Böhmischen Wald ihren Ursprung hatte. NICK REIMER