: Auf der Alm, da ...
Reinhold Messner trifft Leni Riefenstahl: Für kritische Anmerkungen ist auf der sentimentalen Reise in die Vergangenheit kein Platz (MDR, 22.05 Uhr)
von ROLAND HOFWILER
Es müssen märchenhafte Zeiten gewesen sein, damals, in den Dreißigern, als die Dolomiten noch unberührt waren und Berg-Regisseur Arnold Fanck einen Film nach dem anderen mit der jungen Leni Riefenstahl drehte, teilweise zusammen mit der Bergsteigerlegende Luis Trenker. „ ‚Der heilige Berg‘ und ‚Der große Sprung’ “, sagt Filmdiva Riefenstahl rückblickend, „sind die traumhaftesten Erlebnisse in meinem Leben gewesen.“
Und kein Geringerer als Reinhold Messner, der heutige Star unter den Alpinisten, will diese Zeiten wiederhaben. Denn damals, so geht die populäre Legende, lebte der Mensch noch in Harmonie mit der Natur. Das suggeriert auch die Dokumentation „Ich wollte nie so alt werden – ein Porträt zum 100. Geburtstag von Leni Riefenstahl“.
Der Film beginnt im Haus der Riefenstahl in Pöckingen am Starnberger See. Hier besucht Messner die betagte Dame, um sie zu einer Reise in die Vergangenheit einzuladen. Sie steigen im Grand Hotel am Karersee ab, wo Riefenstahl 1924 zum ersten Mal Trenker getroffen hatte und darum bettelte, in einem Berg-Film mitspielen zu dürfen – der Beginn einer steilen Karriere. Mit dem Hubschrauber geht es dann an jene Orte, an denen Riefenstahl als Schauspielerin und später auch als Regisseurin wirkte. In dieser Bergkulisse entstand unter anderem „Das blaue Licht“. Hitler war von dem Werk so fasziniert, dass er die Regisseurin mit „Triumph des Willens“ beauftragte, jenem Propagandastreifen über den 6. Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg im Jahre 1934, der als eines der faszinierendsten, aber auch kontroversesten Werke in die Filmgeschichte eingehen sollte.
Bauchpinselei
Anhand ihres persönlichen „Klettertagebuchs“ versuchen siebzig Jahre später die gebürtige Berlinerin und der Südtiroler Alpinist die wichtigsten Stationen im bewegten Leben Riefenstahls nachzuzeichnen. Unterbrochen wird die Reisereportage immer wieder durch historische Filmaufnahmen und durch Interviews mit Zeitzeugen. Die beiden Hauptdarsteller plaudern und lachen unterdessen, bewundern sich gegenseitig und verhehlen nicht ihre Seelenverwandtschaft. „Es ist das gleiche Empfinden für die Schönheit der Berge und der Wunsch, Außergewöhnliches zu machen“, erklärt die Regisseurin auf Messners Schloss Juval. Und dieser beteuert, Leni habe nicht willentlich und geplant dem NS-System zugearbeitet. „Das ist eine mutige Frau, die ihr Leben gelebt hat, und ich glaube, es ist höchste Zeit, dass man dieses Lebenswerk anerkennt.“
Es scheint, wem 100 Jahre beschieden sind, der kann selbst seinen eigenen Fluch überleben. Die lange verfemte Filmemacherin darf in der Dokumentation ihre Sicht der Geschichte darlegen, ohne dass ihr auch nur an einer einzigen Stelle widersprochen wird. Diese geschichtliche Einseitigkeit ist das große Manko des handwerklich gelungenen Riefenstahl-Porträts – und im Übrigen auch das aller anderen Porträts, die die öffentlich-rechtlichen Sender bislang der Jubilarin widmeten. Filmwissenschaftler und Historiker enthüllten längst, wie stark die Verstrickung der nach eigener Darstellung betont „unpolitischen Künstlerin“ mit dem Naziregime und insbesondere mit Hitler gewesen sein muss. Dieses Wissen wird in der Reportage geflissentlich unterschlagen.
Peinlich wird es, als Messner und Riefenstahl über die Schwierigkeiten zur Fertigstellung des Bergfilms „Tiefland“ zu sprechen kommen, 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, gedreht. Ehemalige Statisten, arme Bergbauern aus dem Sarntal, werden zu den alten Zeiten befragt und äußern sich nur lobend über die „nette Frau“, doch kein einziger der von Riefenstahl einst als „Komparsen“ zwangsverpflichteten Häftlinge kommt zu Wort. Noch bis vor kurzem hatte Riefenstahl behauptet, sie habe „alle Zigeuner, die in Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen, keinem einzigen ist etwas passiert“. Verbrieft ist jedoch, dass mindestens 20 der 48 von Riefenstahl damals persönlich ausgesuchten Lagerinsassen die NS-Zeit nicht überlebten. Anders als die Bauern vom Sarntal hatten diese Häftlinge schon während der Dreharbeiten nichts zu lachen.
Um das heile Bergbild abzurunden, darf die Jubilarin in der Dokumentation noch einmal ihren Lebensmythos ausbreiten, nur für „das Schöne, das Reine“ habe sie sich interessiert, „für Politik nie“. Allein dafür sei sie verunglimpft und beschimpft worden und mit Berufsverbot belegt. Welch ungerechte Welt voller Neid, sagt Riefenstahl und tröstet sich am Fuße der Dolomiten damit, „in dieser schönen Bergwelt ist für all das, Gott sei Dank, kein Platz“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen