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Pommes für die Fress-Säcke

Der ehemalige Gewichthebe-Weltrekordler Manfred Nerlinger bringt nun dem deutschen Nachwuchs das Stemmen von Hanteln bei – und wie man sich vor einem Wettkampf ordentlich mästet

von HARTMUT METZ

„Reich das runter zu den Fress-Säcken, die müssen noch zunehmen!“ Manfred Nerlinger schiebt die Pommes in Richtung Edgar Jerke (GV Luckenwalde). „Komm, iss noch was“, fordert er auch Michael Scholz auf. „Ich bin eigentlich schon satt. Aber gut, ein paar Pommes noch“, gibt der Görlitzer klein bei. Koloss Nerlinger grinst zufrieden; einmal mehr hat er etwas für die Leistung eines Schützlings getan. „Ständig müssen wir predigen, damit sie reinhauen wie Scheunendrescher“, klagt der Nachwuchs-Bundestrainer über die Nöte seines Jobs. „Zum Hantelnstemmen kommen die freiwillig, da sind sie motiviert“, sieht der ehemalige Superschwergewichtler bei den jungen Gewichthebern leider nur eine Parallele zu seiner Karriere, die ihn zum populärsten Gewichtheber Deutschlands machte. Bei der anderen Disziplin hapert es bisweilen noch: Was die Nahrungsaufnahme angeht, könnten die Jungs durchaus noch zulegen – und sich eine dicke Scheibe bei Nerlinger abschneiden.

Mit reichlich essen hat der Münchner bis heute nämlich keine Probleme – das wird nicht erst klar, als ihm im „Felderbock“, dem Stammlokal im Leimener Bundesleistungszentrum, der Ober den dritten Teller reicht. Nerlinger „futtert“ vorbildlich, immer noch. Eine kurze Diät nach Ende seiner Laufbahn brach der Exweltrekordler ab, 145 seiner ehedem 165 Kilo bringt der Gewinner von 30 internationalen Medaillen noch locker auf die Waage. „Ein Kilo Gewichtszunahme bringt etwa 4,5 Kilo Leistungszuwachs“, erläutert der Diplom-Sportlehrer. Und vor den Jugend-Europameisterschaften, die bis Sonntag im französischen Villeneuve-Loubet dauern, zählt fast jedes Gramm.

Richtig gut ist es hier zu Lande nicht bestellt ums Gewichtheben, dem 19.000 Athleten frönen, darunter 1.270 Frauen. „Im Jugendbereich fielen 50 bis 60 Prozent nach der Wende weg“, sagt der Brandenburger Landestrainer Edgar Jung. Viele der 7.100 Jugendlichen kamen nur zur Randsportart Gewichtheben, weil schon ihre Väter Hanteln in die Höhe hoben. Beispielsweise Robby Behm, Sohn der Stralsunder Gewichtheber-Legende Andreas Behm. Oder Mateusz Przybylek, dessen Papa Jan Senioren-Vizeweltmeister ist.

Der Lüchower zählt zu den wenigen Medaillenkandidaten bei der EM. Er träumt in der zweithöchsten Gewichtsklasse (bis 85 kg) von Gold, „wenn’s optimal läuft. Wenn’s schlecht kommt, werde ich aber nur Vierter“. Russen, Bulgaren und Türken erwähnt Przybylek als alljährliche Konkurrenten. Der Nachwuchs dort sei „weit mehr motiviert. Dort genießt Gewichtheben einen viel höheren Stellenwert. Ein Olympiasieger hat in der Türkei ausgesorgt“, sagt der 16-Jährige. „Lothar Matthäus“, wie die Kameraden Mateusz wegen seines komplizierten Nachnamens nennen, peilt im Seniorenbereich die Kategorie bis 95 Kilo an. Der potenzielle Nachfolger von Ronny Weller im Männerbereich heißt Marco Lösle. „Ihm traue ich am meisten zu“, sagt Nerlinger über den Lörracher, der in der höchsten Gewichtsklasse (über 85 kg) antritt. Bei den Mädchen dürfen nur die Leichtgewichte bis 44 kg, Johanna Walzak (SG Eibau) und Sandra Martin (Chemnitzer AC), auf Edelmetall schielen.

Ihren Coach schätzen die Mädchen: „Herr Nerlinger ist locker, macht Witze und weiß Geschichtchen zu erzählen. Und er erkennt auch gleich kleine Fehler“, berichten Sandra Martin und Michael Scholz. Die Leistungen des einstigen Weltrekordlers, die bis zu 247,5 kg im Stoßen und 440 kg im Zweikampf reichten, bewundern sie natürlich alle. Aber in die Fußstapfen der Kolosse wollen sie nicht treten. Vor allem die Mädchen nicht. „Ein bisschen zunehmen schadet nicht, um die Leistung zu steigern. Ich will aber nicht so aussehen wie Ronny Weller“, meint Sandra Martin und erzählt von ihrem Kampf ums Gleichgewicht zwischen „akzeptabler Leistung und guter Figur“. „Gewichtheberinnen können keine Modellfigur haben. Sie müssen straff und drall sein“, sagt hingegen Nerlinger. Er weiß um die Problematik.

Die Jungs haben es da einfacher, selbst beim Abkochen kurz vor dem Wiegen: „Runter geht leichter als rauf! Zack, ist ein Kilo runter. Das passiert schon durch die Aufregung vor dem Wettkampf“, erzählt Michael Scholz. Der Görlitzer freut sich vor allem über einen Vorteil, den die Qual an der Hantel bringt: „Im Freibad drehen sich die Mädchen nach einem um.“ Diesbezüglich darf man natürlich nicht ständig zugreifen, selbst wenn Animateur Nerlinger seiner wichtigsten Aufgabe nachkommt und lockt: „Komm, iss noch was.“

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