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Europa ja – aber bitte billig!

Werbung für Einigungsprozess ist Rot-Rot nur zwei Wowereit-Monatsgehälter wert. Europabeauftragte räumt Zeitdruck bei EU-Erweiterung ein: „Wir müssen uns beeilen“

Öffentlichkeitsarbeit hält Berlins Europabeauftragte Monika Helbig (SPD) für einen zentralen Punkt ihrer Arbeit. „Europa ist noch ein Spezialistenthema in einem engen Kreis und in der Bevölkerung noch nicht richtig angekommen.“ Theoretisch kann Helbig auf den Koalitionsvertrag von SPD und PDS bauen, die von einer Verbreitung des Europagedankens schreiben. Praktisch aber kann sie 2002 nur mit 25.000 Euro für Europa werben – mehr billigt ihr Rot-Rot für Öffentlichkeitsarbeit nicht zu. Das sind zwei Monatsgehälter des Regierenden Klaus Wowereit (SPD). Fast ein Drittel davon geht allein für Europabericht drauf, den sie gestern vorstellte. Es war Helbigs erster größerer Auftritt vor der Presse nach sieben Monaten als Staatssekretärin. Nichts sei von ihr zu hören, hatten die Grünen jüngst kritisiert. Über den Stand der Debatte der EU-Osterweiterung wollte Helbig berichten, die Europapolitik des Landes vorstellen, sich als Koordinatorin im Netz von über 200 Einzelprojekten vorstellen und für sich als Ansprechpartnerin werben.

Zwei Tage vor diesem Termin aber hat sich ein anderer den Hut des Europavordenkers aufgesetzt. Stadtentwicklungssenator und SPD-Chef Peter Strieder versorgt unter seinen am Montag als „12 Thesen zur Metropolenpolitik“ veröffentlichten Ideen gleich die Europapolitik mit, schreibt von europäischen Netzwerken und der Bedeutung der mittel- und osteuropäischen Länder für Berlin. „Nein“, gibt Helbig zu, Strieder habe sich nicht mit ihr dazu abgesprochen – um gleich hinzuzufügen, dass sein Papier alles andere als kontraproduktiv sei. „Das kann die Debatte nur weiterbringen.“

Fünf Mitarbeiter hat Helbig, die zugleich für Berliner Bundesangelegenheiten zuständig ist, im Roten Rathaus für die Europapolitik. Zwei weitere Stellen plus Sekretariat gibt es in Brüssel. „Wir haben dort die kleinste Vertretung aller deutschen Bundesländer“, sagt Volker Löwe, Chef in Helbigs Europareferat. Aus den Brüsseler Strukturfonds fließt für den Zeitraum von 2001 bis 2006 knapp über eine Milliarde Euro nach Berlin. Nach der Osterweiterung der EU wird es nach dem jetzigen Verteilungsmodus deutlich weniger sein. „Ein Bruchteil“, sagt Helbig, die deshalb eine Sonderbehandlung von Städten gegenüber den Flächenländern anstrebt. Grundsatzpolitik sieht sie als ihre Aufgabe und zählt dazu auch die Diskussion über eine europäische Verfassung. Förderanträge hingegen laufen über die Fachverwaltungen. Davon werde sie informiert – zuständig aber sind die Experten und Europabeauftragten in den Senatsverwaltungen und Bezirken oder der spezielle Senatskoordinator für Mittel- und Osteuropa.

Die Grünen hatten zu Wochenbeginn kritisiert, Berlin habe entscheidende Chancen im Vorfeld der EU-Erweiterung verpasst. Inzwischen gehe es nicht mehr um einen Logenplatz, sondern darum, überhaupt noch ins Stadion zu kommen, kritisierte Lisa Paus, die europapolitische Sprecherin der Fraktion. Helbig mochte das so nicht sehen. „Wir müssen uns zwar beeilen, aber der Zug ist noch nicht abgefahren.“ Sie räumte aber ein, dass es bei den Europaaktivitäten „weitgehend unkoordiniert läuft.“ Es sei für sie auch nach einem halben Jahr im Amt noch der Beginn ihrer Arbeit, stellte Helbig fest, die zuvor Kanzlerin der Evangelischen Fachhochschule Berlin war. Die Grünen mögen ihr nicht das Bemühen absprechen. Sie halten es aber für ein Zeichen mangelnden Europainteresses, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) keinen Experten in diesen Job holte. STEFAN ALBERTI

Der Europabericht ist unter www.berlin.de/europa abrufbar

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