: „Ich käme mir verarscht vor“
Christian Ströbele: Die erste Frage ist natürlich klar: Gehen Sie zur Wahl?
Alle drei: Auf jeden Fall! Ja, klar! Aber sicher!
Und warum ist das so klar?
Sabine: Weil ich es schade finde, wenn nicht Parteien gewählt werden, die vernüftige Konzepte aufstellen könnten. Und weil dadurch radikalere Parteien mehr Zuwachs haben. Prozentual werden dann Protestwähler zu „normalen“ Wählern. So wie bei uns die DVU in Sachsen-Anhalt.
Wollen sie mit ihrer Wahl auch etwas bewirken und nicht nur etwas verhindern?
Nina: Ich denke, dass die Wahl meine Chance ist, bei gewissen Dingen mitzuentscheiden, z.B. bei der Frage nach einer deutschen Kriegsbeteiligung an einem Irakkrieg. Ich finde es ehrlich gesagt wirklich blöd, wenn ich diese Verantwortung abschüttele. Wenn ich wählen gehe, dann weiß ich wenigstens, dass ich meinen Teil beigetragen und mich nicht der Verantwortung entzogen habe.
Glauben Sie denn, dass Sie mit Ihrer Stimme über so wichtige Entscheidungen wie Krieg und Frieden tatsächlich mitbestimmen können?
Nina: Ich glaube schon, dass die Richtlinien bestehen bleiben. Ich bin bis jetzt nach dem Ausschlußprinzip vorgegangen, dass ich weiß, wen ich nicht wähle. Ich denke, ab irgend einem Punkt muß man einfach vertrauen. Wem ich nicht vertrauen kann, den kann ich dann auch nicht wählen.
Und woher kommt dieses Vertrauen?
Christian: Das macht man natürlich auch immer an Personen fest. Ob die sympathisch sind oder nicht. Ob das, was sie sagen, mit dem übereinstimmt, was sie tun. Das ist sozusagen eine Positiv-Auslese. Ich bilde mir zu einem Thema eine Meinung und danach suche ich aus.
Wonach bestimmen Sie das? Nach dem, was der Politiker sagt, nach dem, was im Programm steht?
Christian: Das, was er sagt, zählt einfach. Ich vergleiche das dann aber auch mit den Taten.
Sie kennen dieses Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Wenn ein Politiker seine Meinung ändert, gucken Sie genau hin und urteilen nach den Gründen?
Nina: ja, denn es kann ja auch daran liegen, dass andere Sachen wichtiger waren. Oder dass die Opposition so stark ist, dass bestimmte Dinge einfach nicht funktioniert haben. Es gibt Ursachen, für die der Politiker gar nicht so viel kann, weil er sich dem Zwang des politischen Alltags unterordnen muß.
Die Entscheidung Deutschlands für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan war verbunden mit der Vertrauensfrage. Das würden Sie dann entschuldigen?
Sabine: Das ist eine sehr, sehr schwere Frage. Für mich war das ein unglaubliches und ziemlich gemeines Druckmittel, wie Schröder das mit der Vertrauensfrage verknüpft hat. Ich denke, dass der Großteil der Grünen pazifistisch ist und eigentlich nicht zugestimmt hätte. Und ich habe mir natürlich auch die Frage gestellt, warum sie das getan haben? Um die Koalition zu retten? Um an der Macht zu bleiben? Da hat Ihre Partei bei mir schon an Ansehen verloren, weil sie für ihre Machtinteressen dieses wichtige Prinzip des Pazifismus einfach verlassen hat.
Nina: Auch für mich ist Pazifismus eine ganz entscheidende Frage. Damit hätten die Grünen einfach ein Zeichen setzen können.
Welches Thema wäre für Sie sonst noch so wichtig, das es für Sie ein Grund wäre, die Partei zu wählen, die es vertritt. Das geänderte Staatsbürgerschaftsrecht?
Christian: Die Leute machen das, glaube ich, nicht am Staatsbürgerrecht fest. Das ist eine wichtige Position, aber nicht der Grund, die Grünen oder die SPD zu wählen. Ich halte zum Beispiel nichts von diesem ganzen Begrenzungsfanatismus der Konservativen.
Man sagt, die Politiker und die Parteien sind alle korrupt, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Sehen Sie das auch so?
Christian: Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten nicht korrupt ist. Vieles sehe ich auch als Lapalie an.
Meinen Sie die Flugmeilen? Dass jemand für eine politische Entscheidung Geld nimmt, ist aber keine Lapalie, oder?
Christian: Nein, das finde ich auch verachtenswert. Aber diese Miles and More-Geschichte ist für mich lächerlich. In jedem Unternehmen profitiert der Arbeitsnehmer, ob er die Frankiermaschine privat mitbenutzt, ins Internet geht oder ob er Meilen verfliegt. So Sachen kreide ich den Leuten nicht an.
Dann spielt es für Ihre Wahlentscheidung keine Rolle, dass der ehemalige Bundeskanzler Millionenbeträge in seinem Dienstzimmer eingenommen hat, von Leuten, die wir bis heute noch nicht kennen?
Christian: Im Nachhinein nicht. Ich denke, diese Sache ist größtenteils an der Person Kohl festzumachen und nicht an der CDU. Die hat dann ja versucht, sich wieder zu reformieren. Mit Stoiber ist sie allerdings trotzdem für mich kein Thema.
Haben Wahlplakate für Sie irgend eine Bedeutung?
Sabine: Sicher können unpolitische Leute durch ganz einfache Slogans dazu gebracht werden, eine Partei zu wählen. Bei der DVU hat das ja funktioniert. Aber das CDU-Plakat mit Merkel und Stoiber, das stößt mich total ab, weil es zwischen den beiden ja große Konfrontationen gegeben hat. Und die dann auf einmal so friede-freue-eierkuchenmäßig nebeneinander zu stellen, das finde ich einfach abartig.
Ist für Sie als Ostdeutsche bei Ihrer Wahlentscheidung wichtig, ob jemand eine Ost- oder eine West-Biografie hat?
Sabine: Nur zu einem geringen Teil. Aber wenn jemand aus Bayern ist, dann bedeutet das für mich stockkonservativ. Jemand, der nichts für Ossis übrig hat. Wenn jemand selbst aus dem Osten kommt, ist er vielleicht persönlich berührt und hat vielleicht mehr Verständnis, mehr konstruktive Konzepte.
Glauben Sie denn, dass die Parteien etwas an der Arbeitslosenzahl ändern können?
Christian: Ich glaube, dass die Politik schon einen gewissen Einfluß hat, allerdings nicht den großen, den sie im Wahlkampf oft vermitteln will. Politik kann die Rahmenbedingungen setzen, aber im Endeffekt entscheidet trotzdem der Markt.
Nina: Dass man als Hauptwahlkampfargument benutzt, man könne die Arbeitslosenzahlen halbieren, finde ich nicht richtig. Aber die Politiker sollten versuchen, an dem bißchen Macht festzuhalten, dassie haben und nicht alles der Wirtschaft zu überlassen.
Was bedeutet da Glaubwürdigkeit? Die Grünen wollten den sofortigen Atomausstieg. Jetzt haben wir ein Gesetz mitbeschlossen, das ziemlich weit vom Sofortausstieg entfernt ist. Sollen die Grünen das trotzdem als Erfolg verkaufen?
Christian: Mir ist da die realistische Variante lieber. Das ist immer noch besser, als wenn jemand sagt, er will noch mehr neue Atomkraftwerke bauen.
Nina: Für mich ist es aber auch wichtig, dass man den Politikern ihre Motivation ansieht. Nicht schauspielern oder sich selbst überschätzen oder ganz laut tönen. Aber die Motivation muß schon rüberkommen.
Wir haben bis jetzt über kein einziges typisch jugendpolitisches Thema geredet. Ist für Sie Jugend- oder Bildungspolitik wahlentscheidend?
Christian: Mir persönlich sind jugendspezifischen Themen auf Bundesebene nicht so wichtig sind. Die werden ja eher in der Landespolitik entschieden.
Nina: Natürlich betrifft mich das in einem Geschichtskurs mit 32 Leuten sehr persönlich. Bundesweit sind für mich aber Außen- und Innenpolitik ausschlaggebender.
Sabine: Bildung ist wichtig, aber wenn ein Wahlkämpfer sich nur auf diese Themen konzentrieren würde, käme ich mir verarscht vor. Ich würde mich nicht ernstgenommen fühlen. Das wäre ja so, als ob ich von den anderen politischen Themen nichts verstehen würde
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