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Senator von Springers Gnaden

Aufschlussreiche Detailarbeit statt Psychoanalyse: Die Hamburger Journalisten Marco Carini und Andreas Speit legen das erste Buch über den Aufstieg des Ronald B. Schill vor – und erklären im Vorwege seinen Untergang

Bei der Bundestagswahl wird Schill an den Medien scheitern

von SVEN-MICHAEL VEIT

Es war ein denkwürdiger Abend an jenem 2. August vorigen Jahres: Rezzo Schlauch war sprachlos. Indigniert, gar genervt saß der gewöhnlich wortgewaltige Chef der grünen Bundestagsfraktion bei einem Italiener am Hamburger Gänsemarkt. „Skurril“ sei das für jemanden aus Berlin, hatte er in die Runde geworfen und gefragt, ob es denn „keine anderen Themen als Innere Sicherheit“ in Hamburg gebe, sieben Wochen vor der Bürgerschaftswahl? Das gute Dutzend geladener Lokaljournalisten würdigte Schlauch keiner Antwort.

Zwischen Antipasti und Saltimbocca wollte Hamburgs Journaille nur das eine: Die Eingeständnisse von Schlauch und der gastgebenden Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager, dass Grün und Rot in der Hansestadt bei der Bekämpfung der Kriminalität versagt hätten. Dass sie mit ihrer Laschheit Hamburg zu dem gemacht hätten, was ein als „Richter Gnadenlos“ bekannt gewordener Polit-Amateur als „Hauptstadt des Verbrechens“ zu bezeichnen nicht müde wurde.

Denn Ronald Barnabas Schill war und ist in erster Linie „eine Medieninszenierung für den Wahlkampf“ in Hamburg, schreiben Marco Carini und And-reas Speit, und sie haben Recht. In ihrem heute im Konkret Literatur Verlag erscheinenden Buch „Ronald Schill – Der Rechtssprecher“ legen die beiden Hamburger Autoren und Journalisten auf 205 Seiten die erste umfassende Bestandsaufnahme und politische Deutung des „Phänomens Schill“ vor.

Ohne dieses freilich erschöpfend erklären zu können – was sie aber auch gar nicht wollten, deshalb fehlt die psychoanalytische Dimension in ihrer weitestgehend deskriptiven Fleißarbeit. Dafür haben die Autoren viele aufschlussreiche Details aus dem Werdegang des Selbstdarstellers mit „der Vorstellungswelt eines Paranoikers“ (Frankfurter Rundschau) recherchiert. Beantwortet wird beispielsweise die Frage, was es eigentlich mit Schills viel zitiertem kommunistischen Großvater auf sich hat – nach dem übrigens in Niendorf eine Straße benannt ist. Es wird berichtet, wie Schill 1995 als Richter „scherzhaft“ eine Waffe auf einen Rechtsreferendar richtete, um ihn zum Plädoyer zu überreden. Damals wurde er zum ersten Mal wegen Rechtsbeugung angezeigt – das Verfahren wurde eingestellt – , geriet zum ersten Mal in die Schlagzeilen der Hamburger Tagespresse.

Deren Rolle widmet sich das Buch besonders – und hier ist es notwendigerweise die Kritik an einer real existierenden Medienmacht. Die Sogwirkung der einfachen Antworten, so die Autoren, mit denen Schill CDU, FDP, SPD und Grüne in der Hansestadt politisch nach rechts zog, war nicht möglich ohne den massiven Begleitschutz des im vergleichsweise übersichtlichen Hamburg nahezu allmächtigen Springer-Konzerns. Es war die ständige Präsenz in den Schlagzeilen, ob mit radikalen Simplifizierungen oder billigen Versprechungen, ob mit politischen oder persönlichen Affären, die Schill erst zu Schill machte.

Das Buch endet aber nicht mit dem Aufstieg des Amtsrichters zum Zweiten Bürgermeister: Die Autoren analysieren den Koalitionsvertrag und listen die „Pleiten, Pannen und Patronage“ der ersten hundert Tage auf.

Carini und Speit schließen mit einer Prognose für die kommende Bundestagswahl: Der letztlich „unpolitische Charakter“ Schill, dem das Volkstribunenhafte des Franzosen Le Pen ebenso fehle wie die Intelligenz des Österreichers Haider, müsse scheitern an eben jenen, die ihn hochbrachten: Den konservativen Medien. Denn ihnen gelte die Schill-Partei bei dieser Wahl nicht als Hilfstruppe der Union – sondern als potenzieller Verhinderer eines CSU-Kanzlers Edmund Stoiber.

Dann, so könnte mensch meinen, gäbe es über Ronald B. Schill wenigstens auch einmal etwas Positives zu sagen.

M. Carini, A. Speit: Ronald Schill. Der Rechtssprecher. ISBN 3-89458-214-6, 15 Euro. Lesungen: 4.9., 20 Uhr, Buchladen Osterstraße ; 12.9., 19.30 Uhr, Büchergilde, Besenbinderhof 61

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