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Solidarität ohne Illusionen

Die Globalisierungskritiker können an Vorbilder anknüpfen: die Internationalismusbewegungen

Der Internationalismus ist oft schon totgeschrieben worden, nicht zuletzt nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten. Doch: Seine Geschichte geht weiter, dank des neoliberalen Desasters, einer Weltordnung, deren primäres Mittel die Anwendung offener Gewalt zu werden scheint – und der sich in dieser Krise formierenden internationalen Bewegungen wie Attac. Es sind aber nicht die Krisen selbst, sondern deren Politisierung durch Bewegungen oder Intellektuelle wie Pierre Bourdieu, die das öffentliche Interesse geweckt haben.

Josef Hierlmeier, Autor und langjähriger Aktivist in internationalistischen Gruppen, erkundet in seinem Buch internationalistische Erfahrungen vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen: „Da die neue Bewegung im Kontext der alten steht und ihre Zukunft auch davon abhängt, ob es ihr gelingt, die Geschichte der Vorläuferbewegungen ins Produktive zu wenden, muss sie immer wieder durch deren Geschichte hindurch.“

Nach einem kurzen Überblick über den proletarischen Internationalismus werden drei Phasen systematischer skizziert. Zum einen: Die so genannte Außerparlamentarische Opposition (APO), die mit „revolutionärer Ungeduld“ die Verhältnisse im Westdeutschland des Kalten Krieges kritisierte, insbesondere den verdrängten Nationalsozialismus und den Vietnamkrieg. Grundlegende Veränderungen waren nur international zu denken und gingen von den revolutionären antikolonialen Bewegungen der Dritten Welt aus. Die APO wollte aber auch die Verhältnisse hierzulande demokratisieren und den Alltag verändern. Individualität und Internationalismus waren keine Widersprüche.

Dann: Die internationalistische Politik in den 70er-Jahren, die allerdings wegen der Militärdiktaturen in vielen südlichen Ländern in die Defensive geriet. Ein Jahrzehnt später dominierten zwei neue zentrale Themen die Debatte: die Verschuldungskrise, die 1982 mit dem Moratorium Mexikos begann, und die Solidarität mit Nicaragua. Dazu kam vor dem Hintergrund der ökologischen Krise eine Romantisierung. Hierlmeier: „Die sog. Dritte Welt wurde zur Projektionsfläche für die Träume und Wünsche nach einem Leben ohne Hektik, Stress und Zwang, von einem Leben, das sich gegen die ungeheure Beschleunigung sperrte. […] Statt um Angriff auf die Totalität des Systems ging es nun um die Verteidigung dieser Refugien.“ In der wachsenden Alternativbewegung blieb das nicht folgenlos: Auch im eigenen Land wurden Freiräume gesucht und geschaffen. Dies führte zu einer Entpolitisierung, während sich weltweit der Neoliberalismus durchsetzte.

Der Epochenbruch 1989, die Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua 1990 und der Golfkrieg 1991 markieren den Beginn der dritten Phase der Internationalismusbewegung. Hier, wie auch angesichts der Ethnisierung und Kulturalisierung von sozialen Konflikten, gab es zunächst keine kritisch-emanzipative Antwort. Hierlmeier zeichnet nach, welche Probleme die Internationalismus- und Friedensbewegungen hatten, als Hussein und später Milošević mit Hitler verglichen wurden. Aber auch die Konfrontationslinien wurden klarer. Der Niedergang der sozialen Bewegungen und der Aufstieg der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kennzeichneten die internationalistische Politik in der vergangenen Dekade. „Anstatt den alten Utopien nachzuhängen, votierte man für eine Politik, die sich an den realpolitischen Möglichkeiten orientierte und die enge Zusammenarbeit mit den Repräsentanten von Politik und Wirtschaft suchte und mit Hilfe lobbyistischer Politikberatung einen Einfluss auf die Entwicklungspolitik zu erzielen hoffte“, schreibt Hierlmeier. Dies ging einher mit normativ überladenen Begriffen wie nachhaltige Entwicklung, Zivilgesellschaft oder Global Governance, die im Rahmen der diversen UNO-Konferenzen eine hohe Legitimation erfuhren.

Gerade hier wird die Grundthese des Buches deutlich. Hierlmeier hält angesichts des Wiedererstarkens sozialer Bewegungen eine Strategie für gescheitert, die nur auf Kooperation mit den Mächtigen und auf alternative Expertise setzt.

In seinem Buch geht es aber nicht nur um eine Rekonstruktion der Geschichte des Internationalismus, sondern deren knappe Skizze wird mit in diesen Zeiten wichtigen Ideen und Theoretikern kombiniert. So spielten Max Horkheimer, Theodor Adorno (mit beiden brachen die Studenten später bekanntlich) und Herbert Marcuse sowie Frantz Fanon, Che Guevara und der chinesische Außenminister Lin Biao eine wichtige Rolle in der APO. Für die 80er-Jahre hebt Hierlmeier die Bedeutung der Befreiungstheologie und Dependenztheorie hervor, während er in den 90er-Jahren Jürgen Habermas und Hannah Arendt als wichtige Gewährsleute des an Kooperation orientierten Politikstils anführt. Der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (Habermas) und der normative Zivilgesellschaftsbegriff Arendts scheinen das Politikverständnis vieler NGOs zu prägen. Demgegenüber hält Hierlmeier einen an Foucault anknüpfenden Macht- und Diskursbegriff für analytisch und politisch produktiver.

Deutlich wird, auf welch reichhaltige Erfahrungen die aktuellen Bewegungen zurückgreifen können. Bei allen Unterschieden besteht heute Einigkeit darin, dass Solidarität mit anderen Bewegungen immer der Gefahr der Projektion ausgesetzt ist. Auch die ungleich radikaleren Kämpfe in der so genannten Dritten Welt werden – ganz im Gegensatz zu Vietnam oder Nicaragua – nicht als Modelle verklärt. Und kaum jemand würde den Staat zum an sich progressiven Motor der Geschichte erklären, den es zu besetzen gelte. Negative etatistische internationalistische Erfahrungen, die sich in K- Gruppen transformierten, sind hier genauso wichtig wie die Tatsache, dass das neoliberale Projekt ganz wesentlich durch Staat und Parteien vorangetrieben wurde.

Internationalistische Politik muss auch heute, den Zeitläuften entsprechend, neu erfunden werden. Darin besteht ja auch das kreative Potenzial der so genannten globalisierungskritischen Bewegung. Das gut lesbare Buch trägt dazu bei, Geschichte zu aktualisieren, um sie in aktuellen Auseinandersetzungen präsent zu haben. ULRICH BRAND

Josef Hierlmeier: „Internationalismus. Eine Einführung in die Ideengeschichte des Internationalismus. Von Vietnam bis Genua“, 180 Seiten, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2002, 10 €

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