: Spiel, Satz, kein Sieg
Erst trat Boris Becker gegen Michael Stich an, dann Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber. Notizen zu einem gelungenen Fernsehsonntag ohne Verletzungsrisiko
Na, vorgestern auch Fernsehen geguckt? Und, wie fanden Sie’s? Genau, irgendwie enttäuschend, oder? Aber eigentlich auch ganz nett. Boris Becker hat gegen Michael Stich gewonnen. Das gehört sich so, weil Becker im Fernsehen besser rüberkommt. Und vorgestern kamen auch seine Bälle besser rüber. Das ist der Idealfall. Denn gelungen ist ein Spiel, wenn der Beliebteste auch der Beste ist. Wer die Unsympathen gewinnen sehen will, kann zum Catchen umschalten.
Wir leben in einer merkwürdigen Zeit. Unsere Codes sind so abgehoben wie seit dem Rokoko nicht mehr (und seit der Kunst bürgerlicher Karrieristen, den alten Adel mit den eigenen Waffen zu schlagen), und gleichzeitig sind wir süchtig nach Authentizität wie Livingstone am Kongo. Hat das Fernsehen diese Schizophrenie erzeugt, oder ist es die Antwort darauf? Oder beides? Dass sie von seinem Lächeln betört sei, sagt eine Frau zum Auftritt von Stoiber beim „Duell“. Vielleicht begreifen wir, dass ein Körpersignal, das einen gewissen Grad an Obszönität erreicht hat, nicht mehr nach Inszenierung und Authentizität befragt werden kann. Wie ein nackter Hintern zum Beispiel.
Schon klar: Wenn man zu viel Angst hat, nicht gut rüberzukommen, dann spielt man ziemlich lasch. Am Abend gab es Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber. Jetzt sind alle enttäuscht, dass zwei Profis wie Anfänger spielen. Also professionell hoch zwei – nämlich auf Sicherheit und ohne Verletzungsrisiko. „Pomadig“ nennt man das beim Fußball. Die ganze Nation hockt vor dem Fernseher und guckt zwei Leuten zu, denen man ansieht, wie anstrengend es sein kann, den Ball flach zu halten. Oder, wie Becker und Stich, den Tennisball in ihrem Altherrenduell in freundlichem Bogen übers Netz zu bugsieren. Das Spiel war mies, aber die Spieler sahen nicht schlecht aus. So war es bei Becker/Stich und Schröder/Stoiber.
Was haben die zwei eigentlich gesagt? Ist doch egal. Wir waren ja darauf vorbereitet, dass es darauf nicht ankommt. Denn wir wissen, dass die Trainer die Duellanten darauf vorbereitet haben, sich gut zu verkaufen. Konditionstraining im Dauergrinsen, Kopf schief halten und um Himmels willen nicht zu arrogant gucken. Niemand hat erwartet, dass sie beim Figurmachen auch noch etwas Bedeutendes sagen.
Beim Fußball verwandelt sich der Zuschauer in einen, der die bessere Aufstellung im Kopf gehabt hätte, die bessere Taktik sowieso, und am schnellsten erkennt, dass der Schiedsrichter eine Pfeife ist. Beim Kanzler-Duell verwandeln wir uns in ein Heer von Medienberatern, Schauspiellehrern, Kosmetikspezialisten und Designern. Da hätte er nicht so mit den Händen fuchteln sollen, dieses kurze Schnalzen am Ende hätte er nicht bringen sollen, aber die Krawatte war gut. Lebendige Teilhabe, gute Unterhaltung.
Erinnern Sie sich noch an die Einführung der Talkshow in der Bundesrepublik Deutschland? Dietmar Schönherr. Die Talkshows in den ersten ein, zwei Jahren beschäftigten sich vor allem damit, ob Talkshows bei uns überhaupt sein dürfen und was zum Teufel sie zu bedeuten haben. Kulturell und überhaupt. Als die Talkshows nicht mehr von Talkshows handelten, interessierte sich kein Mensch mehr dafür. Bis irgendjemand merkte, dass Talkshows wieder interessant werden, wenn einer der Gäste die Sau rauslässt und die Sendungen nicht von Themen, sondern von Personen handeln, die sich danebenbenehmen. Früher oder später landet jedes noch so biedere Format beim Schweinefernsehen. Deshalb muss man auch bei Kanzler-Duellen die Hoffnung nicht aufgeben.
Jetzt haben wir also die „Debatte“, die man in Deutschland gleich ein „Duell“ nennt. Und es geht wie damals in den 70er-Jahren mit der Talkshow: Das Format, das mit großem Brimborium eingeführt wird, hat vor allem sich selbst zum Inhalt. Zumindest in dieser ersten Runde sind wir nicht Zuschauer eines rhetorischen Duells, sondern vielmehr einer gemeinschaftlichen Anstrengung, ein Format zu erfüllen und alle Bedenken dagegen in der Inszenierung selbst abzufedern. Alle, sogar die Politiker selber, haben immer wieder betont, dass vor den Fernsehkameras ein Spiel mit Äußerlichkeiten stattfindet. Ist das „Duell“ nicht trotzdem irgendwie zu amerikanisch, zu viel Show und zu wenig Inhalt, Politainment? Und wohin beißt sich Westerwelle unterdessen, der draußen bleiben musste? Fährt die gute alte parlamentarische Demokratie nicht bald endgültig zur Hölle?
Gemach, wir geben dem Ablauf so viel Regeln und Erklärungen, so viel Nach-, Zwischen- und Vorbereitung, dass garantiert nichts schief gehen kann. So viel Ordentlichkeit war nie. Man ist nicht persönlich geworden – was eigentlich paradox ist, weil wir dauernd davon reden, dass wir jetzt immer mehr Personen und immer weniger Inhalte wählen. Wir wollen Personen, die dann doch nicht zu persönlich werden.
Die Attraktion des Formats liegt also darin, dass die Sache selbst sehr, sehr ausgiebig erklärt wird. Es geht zu wie bei gewissen Sportsendungen, wo man vor lauter Erklärungen und Interviews und Werbung und noch mal Erklärung gar nicht merkt, dass man von dem Ereignis nur wenig bekommt. Die Suspense der Veranstaltung entsteht durch die furchtbare Möglichkeit, das ganze Unternehmen könnte schief gehen. So wird es übererklärt und gestreckt: Vorbereitung, Nachbereitung, und jeder hat noch selbst etwas zu verkaufen.
Kein Wunder, dass heute Abend die Bierwerbung so gut kommt, nebst obligatorischer Blitzumfrage, bei der die Fragen so gestellt sind, dass sie eigentlich wiederum eher das Format als das eigentliche Geschehen beurteilen. Die Verhältnisse bei „Sympathie“ und „Kompetenz“, erfahren wir, unterscheiden sich nicht allzu sehr von den Werten, die schon vorher bekannt waren. Das ist ebenso beruhigend wie der Umstand, dass sich auch der Anteil der Befragten, der sich vom Fernsehduell vielleicht in seiner Meinung umstimmen lässt, in Grenzen hält. Nix passiert. Und das ist gut so. Wir haben alle ein bisschen Anteil daran.
Bei der zweiten Runde wird es dann schon ein bisschen gemeiner zugehen. Da hält sich die Kamera bestimmt nicht mehr in dieser Respektentfernung, und mit den drei Standardeinstellungen ist auch Schluss. Sabine Christiansen kann den Kopf viel geiler schief halten als Stoiber. Außerdem geht es dann ja auch schon in die Endausscheidung.
Die Nation hat sich mal wieder vor dem Bildschirm versammelt. Ein gelungener Fernsehabend! Wir haben, deutsch und pannenfrei, eine neue politische Institution geschaffen. Wir haben, ohne dass es uns die Laune verderben könnte, den nächsten Schritt von der Demokratie zum Medienpopulismus getan. War doch gar nicht so schlimm! Und Fernsehen ist doch immer noch besser als gar keine Demokratie.
Jetzt warten alle auf die Fortsetzung. Nein, eine Überraschung erwartet niemand. Eher einen Stolperer zum Eigentor.
GEORG SEESSLEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen