: interview
Eine Generation geht
Der Politologe Stephan Eisel, 47, hat für die Konrad-Adenauer-Stiftung die Studie „Bundestagswahlen 2002. Kandidatenentwicklung und Personalwechsel“ geleitet.
taz: Herr Eisel, mit wenigen Ausnahmen werden nach der Wahl fast alle Politiker aus dem Bundestag ausscheiden, die die deutsche Einheit gestaltet haben. Woran liegt das?
Stephan Eisel: Das ist zuallererst eine Generationenfrage – wenn Sie an die Kohl-Generation denken, also die Jahrgänge um 1930, die jetzt um die 70 Jahre alt sind: Kohl, Waigel. Es ist ganz natürlich, dass Politiker dieser Generation – bis auf wenige Ausnahmen – nicht wieder antreten.
Einige wie Sabine Bergmann-Pohl gehen von sich aus und aus persönlichen Gründen.
Viele Ostdeutsche, die 1990 in den Bundestag kamen, sind zum Beispiel Pfarrer oder Ärzte. Bei diesen Berufsgruppen war von vornherein klar, dass sie nur eine begrenzte Zeit in der Politik bleiben würden.
Warum sind nicht mehr dieser Politikeinsteiger geblieben?
Ein Teil hat seine politische Aufgabe als erledigt betrachtet, als Freiheit und Einheit hergestellt waren, als Beispiel nenne ich da Lothar de Maizière. Andere waren frustriert, Konrad Weiß beispielsweise: Der war enttäuscht von den Grünen. Andere wie Werner Schulz bleiben aktiv bei den Grünen. Zu nennen sind da auch Arnold Vaatz, Vera Lengsfeld, Rainer Eppelmann, Günther Nooke bei der CDU.
Was bedeutet es, wenn sich im Parlament künftig kaum jemand an früher erinnern kann?
Das Erlebnis des Kalten Krieges, die Einschätzung dessen, was das SED-Regime bedeutete, und eben auch manche Ursache, die für die Spaltung Deutschlands verantwortlich war, werden in der Erinnerung sowohl im Osten als auch im Westen verblassen. Nehmen Sie Diskussionen darüber, wie man mit den Stasi-Akten umgeht, oder die Einschätzung der PDS, die Sicht solcher Dinge wird von der eigenen persönlichen Erfahrung beeinflusst. Auf der anderen Seite ist die deutsche Einheit, gerade bei jüngeren Abgeordneten, schon pure Selbstverständlichkeit geworden.
Ist das schade?
Es ist eher ein Verlust, wenn das unmittelbare persönliche Erleben bestimmter politischer Strukturen verloren geht, zum Beispiel das Erlebnis einer Diktatur und der dafür Verantwortlichen. Das birgt auch Gefahren.
Lässt sich der jetzige Wechsel mit der Zeit vergleichen, als die den Bundestag verließen, die Konzentrationslager und Zweiten Weltkrieg erlebt hatten?
Ja, wir erleben jetzt einen ähnlichen Generationenwechsel, der in seiner Bedeutung über die Frage von Ost und West und deutscher Einheit hinausgeht. Sowohl in der SPD als auch in der CDU gehen die Generationen, die in den 50er- und 60er-Jahren groß geworden sind. Bei denen spielte die Frage des unmittelbaren Erlebnisses der Nachkriegszeit und die Haltung „Nie wieder Krieg, nie wieder Diktatur“ eine große Rolle. Sie mussten das nicht im Seminar lernen. Die nachfolgende Generation muss sich intensiv darum bemühen, sich das zu erhalten. INTERVIEW: HEIKE HAARHOFFFOTO: CDU
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen