Auch Pädophile werden Priester

Seit der Diskussion in den USA über Kindesmissbrauch durch Geistliche ist der „Tatort Kirche“ (So., 17.30 Uhr, ARD) ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten – für die Kirchen eine Chance, mal grundsätzlich über ihre Vorstellung von Sexualität nachzudenken

von JENNI ZYLKA

Wie steht es eigentlich um das Schuldgefühl eines christlichen Täters? Diese schwierige Frage wird im Film gestellt, eine Therapeutin fragt vorsichtig den Patienten, einen Mann, der sein Gesicht nicht zeigen möchte. Dabei hat er es vorher einer ganzen Gemeinde präsentiert: um den „Tatort Kirche“ geht es in Thomas Leifs und Annette Wagners Dokumentation, um sexuellen Missbrauch durch Priester.

So richtig habe er nicht an die Gefühle seiner Opfer gedacht, antwortet jener überführte, nun zu therapierende Geistliche, sondern eher an seine eigenen. Ein anderer erzählt, wie er danach gebeichtet habe – die Sündenvergebung liegt im System.

Auch pädophile Männer werden Priester und machen damit, wie meistens bei dieser Präferenz, ihnen vertrauende, ihnen ausgelieferte Kinder zu Opfern. Seitdem in den USA das jahrhundertelang unter die Ornate gekehrte Thema an die Öffentlichkeit gezerrt wurde und seit der Papst forderte, jeden Fall von Missbrauch sofort nach Rom zu melden und die Sünder aus den Reihen auszuschließen, entdeckt auch die deutsche Geistlichkeit endlich die Realität. Was noch lange nicht bedeutet, dass diese grausame Art von Vertrauensmissbrauch für die Zukunft eingedämmt sein wird: die körperfeindliche, lustfeindliche Kirche hat und hatte immer ein Riesenproblem mit der Sexualität.

Ein Experte zu diesem Thema möchte in Wagners und Leifs Film nicht allein das Zölibat als mögliche Ursache für sexuellen Missbrauch durch Priester verantwortlich machen: „So simpel ist es nicht“, sagt der Theologe und Therapeut aus Münsterschwarzach und behauptet, dass auch platonische „warme und innige“ Beziehungen zur Persönlichkeitsbildung beitragen und eben mit dem Fehlen solcher Freundschaften „psychische Schäden“ einhergehen können.

Die Kirche hat schon genug Schwierigkeiten, das Thema überhaupt zu behandeln, das wird mal wieder an den Formulierungen deutlich, mit denen Kardinal Lehmann im Film die Meldepflicht kommentiert: Man müsse doch verstehen, dass die Diözesen etwas zurückhaltend seien, und außerdem käme das schließlich in allen Bereichen der Gesellschaft vor.

Wagners und Leifs engagierte und sensible Dokumentation hat sich diesem komplexen, noch immer extrem tabuisierten Thema aus allen möglichen Blickwinkeln angenähert: Opfer erzählen von ihren Erfahrungen und davon, wie ihnen keiner geglaubt hat, weil das System Kirche durchaus Straftaten deckt, wenn sie in den eigenen Reihen passieren. Und auch Täter kommen zu Wort, erstmals in der lange überfälligen Diskussion. TherapeutInnen berichten von den Ansätzen zur Tätertherapie, Opfer formieren sich in Gruppen, um anderen Opfern Hilfe anbieten zu können und um weitere Fälle zu vermeiden.

Vielleicht ist mit der momentanen Auseinandersetzung, mit Filmen wie diesem, der hoffentlich den Anfang macht, die Kirche auf einem richtigen Weg. Wenn sich der altmodische Glaubensverein allerdings einmal nicht nur mit verbotener Sexualität, mit Sinn und Unsinn von Zölibat oder der Negierung von körperlichen Beziehungen auseinander setzen würde, sondern auch mit den vielen Fällen von Liebe und Sex zwischen erwachsenen Männern und Frauen, Männern und Männern, Frauen und Frauen, würde die Kirche es eventuell sogar schaffen, nicht ganz den Anschluss zu verlieren.

bericht SEITE 7