: Idyll hinterm Zollzaun
Visionäre nennen ihn die „zweite Alster“: Der Spreehafen am Nordrand von Wilhelmsburg. Doch juristisch gehört er noch zum Freihafen – der Zugang ist daher beschränkt. Verein fordert Öffnung
von ANGELA DIETZ
Leuchtend bunte Hausboote liegen an Pontons vertäut. Auf einem Duckdalben trocknet ein Kormoran seine Flügel. Eine Idylle, die kaum jemand kennt: der Spreehafen am Nordrand von Wilhelmsburg. Visionäre nennen ihn eine „zweite Alster“. Das Problem: Es ist ein Idyll hinterm Zaun – denn der Spreehafen ist Freihafengebiet. Der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg fordert nun, den Hafen freizugeben und als Naherholungsgebiet zu erschließen.
Noch hat man, wenn man auf der Harburger Chaussee aus Veddel kommend den Hafen passiert, den Eindruck, an einem Hochsicherheitsknast vorbeizu- fahren. Drei Meter hoch und zwei Kilometer lang zieht sich der Zollzaun auf dem Deich. An warmen Tagen sitzen die Anwohner hier im Gras, im Rücken den Metallzaun, vor sich die donnernden LKWs. Die ruhige Wasserseite des Deiches ist ihnen versperrt. Der einzige Zugang aus Süden ist die Zollstation Ernst-August-Schleuse – ein Umweg von 20 Minuten.
Dabei scheint der Freihafenstatus überholt, denn Hamburgs größtes Hafenbecken wird kaum mehr für Zollgüter genutzt. Doch was in der Speicherstadt ab 2003 möglich wird, nämlich die Aufhebung des Sonderstatus, soll nach Auskunft der Wirtschaftsbehörde für den Spreehafen nicht umsetzbar, weil zu kompliziert sein: Der Spreehafen sei die „Achillesferse“ der gesamten Zollgrenze.
Aber noch ein zweites Problem beunruhigt die Wilhelmsburger: Der Spreehafen droht zu verlanden. Das Hafenbecken ist seit vielen Jahren nicht mehr ausgebaggert worden. Zwei Schlickinseln haben sich bereits gebildet. Dabei sind auch die ansässigen Wasserbaubetriebe auf die Schiffbarkeit angewiesen. Zu allem Übel soll im kommenden Jahr soll auch noch die Müggenburger Durchfahrt, die Wasserverbindung vom Spreehafen Richtung Veddel und Peute, zugeschüttet werden.
Drittes Handicap für den Spreehafen ist die geplante Hafenquerspange: Die Autobahnverbindung zwischen A7 und A1 würde auf Stelzen quer über das Idyll führen. „Wer käme auf die Idee, über die Alster eine 12 Meter hohe Autobahn zu bauen, um den innerstädtischen Verkehr zu verbessern?“ fragt eine empörte Anwohnerin.
Rettung für den Spreehafen könnte die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) 2013 sein, um die sich Wilhelmsburg bewirbt: In den Plänen spielt der Spreehafen eine große Rolle. Schwimmende Siedlungen mit Kleingewerbe, Gastronomie, Wohnungen und Gärten sind hier vorgesehen. Allerdings entscheidet sich erst im kommenden Jahr, ob Wilhelmsburg den Zuschlag für die IGA bekommt.
So lange will der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg, der sich als Nachfolgeorgan der Zukunftskonferenz versteht, nicht warten: Er fordert, dass der Spreehafen unverzüglich ausgebaggert wird, damit er schiffbar bleibt, und dass der Zollzaun abgebaut wird. Vorstand Mathias Lintl: „Zunächst wäre auch eine kontrollierte Öffnung vorstellbar, mit einer Art Parkwächter, der nachts wieder abschließt.“ Da die meisten Hamburger den Spreehafen nicht kennen, will ihn der Verein morgen ab 11:30 Uhr mit einer „Fete hinter dem Zollzaun“ bekannter machen. „Du kannst nur das wertschätzen, was du kennst“, meint Lintl.
Ausnahmsweise wird eine HADAG-Fähre stündlich von den Landungsbrücken den Spreehafen anlaufen (Abfahrt jede volle Stunde). Und extra für das Fest ist auch der Zollzaun an diesem Tag an zwei Stellen geöffnet. Die Verantwortlichen sehen ihr Fest durchaus als weniger kommerzielle Alternative zum gleichzeitig stattfindendem Vergnügen an der ersten Alster.
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