: Geheimnisvoller Ferner Osten
Das „Chinesenviertel“, Merkmal großer Hafenstädte, gab es auch in Hamburg – generell misstrauisch beäugt von der eingeborenen Bevölkerung. Dabei war der Alltag der chinesischen Männer eher hart als spektakulär
von LARS AMENDA
Ganz geheuer war sie dem Kommissar wohl nicht. „Die Schmuckstraße! Hier wohnen Chinesen!“ registrierte der Hamburger Kriminalbeamte. „Es ist eine Straße für sich. Das Geheimnis des Fernen Ostens drückt diesen einfachen, geschwärzten, glatten Häusern den undurchdringlichen Stempel auf.“ Die Beschreibung aus den frühen zwanziger Jahren spiegelt wider, was vielen Hanseaten zu jener Zeit auffiel: In einem Teil des berühmt-berüchtigten Stadtteils St. Pauli ließen sich zunehmend Chinesen nieder. „Chinatown!“ vermerkte der Kommissar.
Tatsächlich war die Zahl der in Hamburg polizeilich gemeldeten Chinesen – bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ausnahmslos Männer – zwischen 1890 und 1910 von 43 auf 203 gestiegen und lag in Wirklichkeit wohl noch höher. Die Ursache waren Neuerungen in der Seeschifffahrt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Dampfschiffe kamen in Mode, und deutsche Reedereien beschäftigten zunehmend chinesische Seeleute als Heizer und Kohlenzieher, seltener als Steward oder Koch. Um 1900 fuhren bereits 3000 meist aus der südchinesischen Provinz Guangdong stammende Männer auf deutschen Handelsschiffen. Sie erhielten Billiglöhne für Schwerstarbeit und galten generell als bedürfnislose „Kulis“. Nicht nur den Reedern – auch Teile der deutschen Arbeiterschaft diffamierten sie als „Lohndrücker“ und machten sich über ihr Aussehen lustig.
Die vielen Tausend chinesischen Seeleute, die regelmäßig in den großen europäischen Hafenstädten an Land gingen, hatten ihre eigenen Bedürfnisse nach Versorgung und Unterbringung. Einzelne ihrer Landsleute nutzten diese Chance und gründeten ein Geschäft, das in der Regel mit der Schiffahrt verbunden war. In Hamburg etablierten sich auf diese Weise seit der Jahrhundertwende chinesische Wäschereien, Unterkünfte und kleine Gaststätten.
Eine Entwicklung, die sich nach Ende des ersten Weltkriegs noch intensivierte: In St. Pauli und Altona öffneten vermehrt chinesische Restaurants und Geschäfte. Die Hamburger Polizeibehörde sprach diskriminierend von einer „wachsenden Hafenplage“ und beschwor eine hygienische Gefahr für die Stadt. In der Öffentlichkeit wurde die chinesische Migration nun verstärkt wahrgenommen, jedoch meist exotisch gefiltert. Die Rede von „Opiumhöhlen“ machte die Runde, als auf St. Pauli zwei Chinesen ermordet wurden, wurde dies von der Tagespresse spektakulär aufbereitet.
Geheimnisvoll und undurchschaubar – so sollten die Männer aus Fernost sein, ihr normaler und wenig aufregender Alltag wurde nicht gesehen. Dabei lebten viele der länger in der Hansestadt ansässigen Chinesen in Partnerschaften oder Ehen mit deutschen Frauen. Einzelne Hamburger waren fasziniert von chinesischer Küche und Kultur und suchten Stätten wie das „Neu-China“ in der Großen Freiheit oder das „Peking“ in der Neustadt auf. Diese Kombinationen aus chinesischer Gastronomie und moderner Tanzmusik waren damals auch überregional bekannte Sensationen.
Daran änderte zunächst auch die Machtübernahme der Nationalsozialisten nichts. Die wenigen hundert Chinesen nahmen davon anfangs kaum Notiz, zu sehr beschäftigte sie die japanische Aggression in China. Das sollte sich bald ändern. Weil der NS-Staat Devisen für seine Rüstungsindustrie benötigte, wurden die betreffenden Bestimmungen drastisch verschärft. Chinesische Wirte, bei denen schließlich auch Seeleute von englischen oder holländischen Schiffen Pfund und Gulden ließen, gerieten nun verstärkt ins Visier. Und auch die Gruppe fahrender Straßenhändler, die „Händler aus Qingtian“, die schon von den Reichsbehörden des öfteren mit kollektiver Ausweisung belegt worden waren, wurde wieder schikaniert.
Behörden wie die Zollfahndungsstellen konstruierten ausHamburgs Chinesen eine verschworene Gemeinschaft mit kriminellen Absichten. Deutsch-chinesische Partnerschaften waren zunehmend verdächtig, Chinesen wurden einzig wegen ihrer Verbindung zu einer deutschen Frau ausgewiesen. Mit der „Reichszentrale für Chinesen“ wurde die Verfolgung 1938 in Berlin institutionalisiert, um dort alle Händler und jegliche Verdachtsmomente registrieren zu können. In der Hamburger Schmuckstraße wurden jetzt regelmäßig Razzien durchgeführt, die Ergebnisse blieben gleichwohl mager. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1941 wurden die Schikanen noch drastischer, so durften Chinesen bei den starken Bombenangriffen auf Hamburg keine Luftschutzbunker aufsuchen.
Einen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die sogenannte „Chinesenaktion“ am 13. Mai 1944 dar: Gestapo und Kriminalpolizei verhafteten auf St. Pauli 130 Chinesen – angeblich als Spione der Alliierten. Nach wochenlangen Misshandlungen wurden sie zusammen mit chinesischen Seeleuten, die auf aufgebrachten britischen Kriegsschiffen gedient hatten, in das „Arbeitserziehungslager“ Wilhelmsburg überstellt. Die hygienischen Zustände dort waren katastrophal, die Ernährung ungenügend, eine medizinische Versorgung kaum vorhanden. Hinzu kamen die auszehrende Arbeit und gnadenlos prügelnde Wachmannschaften – annähernd 20 Chinesen starben in kurzer Zeit an den Folgen dieser Behandlung.
Das „Chinesenviertel“ hörte damit auf zu existieren. Und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollte es dieses Merkmal großer Hafenstädte, die Chinatown, in Hamburg nicht mehr geben.
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