: Der Staat war schuld
Lidokino (4): „Führer Ex“, einer der beiden deutschen Wettbewerbsfilme bei den Filmfestspielen in Venedig, weicht einer kontroversen, subtilen Auseinandersetzung mit ostdeutschen Neonazis aus
von CRISTINA NORD
Die Einstellung ist bekannt: Menschen auf einem Boulevard, das Auf und Ab ihrer Körper im Takt ihrer Schritte. In dem Maße, in dem sich die Kamera heranzoomt, tritt eine Gestalt hervor – der paradigmatische Mann in der Menge.
Mit einer solchen Einstellung endet „Führer Ex“, einer der beiden deutschen Filme, die im Wettbewerb der Mostra gezeigt werden. Der Regisseur, Winfried Bonengel, erzählt von Ostberliner Neonazis in den Jahren vor dem Mauerfall und unmittelbar danach. Als Grundlage dient ihm das Buch „Die Abrechung – Ein Neonazi steigt aus“, die von ihm mitverfasste Autobiografie Ingo Hasselbachs. Der schloss sich Ende der 80er-Jahre der ostdeutschen Neonazi-Szene an und machte dort Karriere, bevor er sich 1993 abwenden und später an dem Austeigerprogramm Exit mitwirken sollte.
Wie schon 1993, als er die Dokumentation „Beruf: Neonazi“ drehte, hat sich Bonengel für ein kontroverses Sujet entschieden, und demnach hätte „Führer Ex“ ein kontroverser Film werden können, vielleicht in der Art, wie sich Claire Denis mit „Beau Travail“ den Fremdenlegionären zuwandte. Doch Bonenegel scheint von seinem Stoff so überwältigt, dass er das Filmische vergisst. Die letzte Einstellung ist, so verbraucht sie sein mag, noch eine der interessanteren, insofern sie für sich steht. Darüber hinaus hat „Führer Ex“ kein Vertrauen in Bilder. Stattdessen kommentiert der Film im Dialog, was man sieht. Dem subtilen Spiel von Zeichen und Andeutung setzt er die Erklärung entgegen. Wenn etwa für einen Moment eine SS-Tätowierung vor die Kamera rückt, so kann man sicher sein, dass die Figuren sich im nächsten Augenblick darüber unterhalten. Wie nun kommt es in Bonengels Augen dazu, dass ein junger Mann sich der rechten Szene anschließt?
Heiko (Christian Blümel), Sohn einer allein erziehenden Journalistin, leidet an der Rigidität des DDR-Alltags. Dasselbe gilt für seinen Freund Tommy (Aaron Hildebrandt). Die beiden machen, was zornige junge Männer so machen: Bierflaschen mit den Zähnen öffnen, Witze über Frauen reißen, von einem anderen Leben träumen. Heiko ist eher kleinlaut, Tommy der harte Typ, der mit rechten Symbolen und Theorien anbändelt. Es kommt zu einigen Verwicklungen, Tommy muss in den Knast, wird entlassen, hat jetzt eine Stacheldrahttätowierung am Hals, schläft mit Heikos Freundin und mit dessen Mutter, und trotzdem entschließt sich Heiko, mit ihm einen Fluchtversuch zu wagen. Der führt die beiden in die Strafvollzugsanstalt Torgau, und hier nun nimmt sich „Führer Ex“ viel Zeit, das Ausmaß an Demütigung auszumalen – in vielen blutigen Details. Auch dabei verlässt sich Bonengel auf Vorhersehbarkeit. Der größte Schuft ist der, der sich ritterlich gibt, aber seine Zelle mit einem Porträt seiner Mutter schmückt. Nachem Heiko vergewaltigt worden ist, schließt er sich dem gefängnisinternen Nazizirkel an, damit er fortan dessen Schutz genießt.
Wie wird nun aus dem strategischen Nazi ein überzeugter Nazi? Der entscheidenden Frage weicht Bonengel aus, indem er sie in den Tiefen eines Zeitsprungs versenkt. Die Auslassung hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass „Führer Ex“ dem DDR-System einiges an Verantwortung zuweist. Weil die ostdeutschen Autoritäten nicht wussten, was sie dem Aufbegehren der Jugendlichen außer Repression entgegensetzen sollten, trieben sie sie in die Arme der Nazis.
Nach dem Zeitsprung jedenfalls hat man es mit zwei ganz neuen Figuren zu tun: Tommy, der harte Typ, hat entdeckt, dass Kiffen Spaß macht und Gewalt nicht gut tut, während Heiko zum Bilderbuch-Jungnazi mutiert ist: das blonde Haar akkurat gescheitelt, voller Disziplin, die Faust sitzt locker, und kein Wort kommt aus seinem Mund, das nicht geschrien wäre. Es gibt eine auffällige Unfähigkeit im deutschen Film, Nazis und Neonazis anders denn als ihrer eigene Karikatur zu zeigen.
Bei Bonengel kommt hinzu, dass die Schauspieler ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Einmal, als es besonders hart kommt, legt Heiko seinen Schmerz in einen langen Schrei: „Nein!“. Das ist der Gipfelpunkt einer falsch verstandenen Expressivität, die in der großen Geste sucht, was weder im gedanklichen noch im visuellen Konzept vorhanden war.
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