: Unterwegs mit Metaphysik
Worin besteht der Sinn des Lebens? Und warum lässt Gott die New York Knicks nicht siegen? Der Hollywoodstar Ethan Hawke stellt in seinem Roman „Aschermittwoch“ die ganz großen Fragen
von JÖRG MAGENAU
Am Anfang ist alles aus, so beginnt die Geschichte. Jimmy hat mit Christy Schluss gemacht. Jetzt reist sie mit dem Greyhound-Bus nach Texas, und er fährt ihr hinterher. Jimmy ist Soldat, Christy ist Krankenschwester. Auf einem eisigen Bushalteplatz irgendwo zwischen Albany und New York macht er ihr einen Heiratsantrag – um mit dieser Geste zu beweisen, dass die Trennung ein Fehler war. Jimmy ist ein ziemliches Arschloch. Ein pubertärer Schnauzbartträger, egomanisch, eitel und drogensüchtig. Kaum zu glauben, dass Christy sich erneut auf ihn einlässt, aber sie gibt nach, vielleicht weil sie schwanger ist. Die beiden setzen die Reise in den Süden in Jimmys klapprigem Chevy Nova gemeinsam fort.
Was ist Liebe? Worin besteht der Sinn des Lebens? Warum ist es so schwierig, erwachsen zu werden? Und warum lässt Gott die New York Knicks auch dann nicht siegen, wenn man ihn freundlich darum bittet? Ethan Hawke stellt die ganz großen Fragen in Hüfthöhe, und er sammelt sie asphaltnah direkt von der Straße auf. Der junge Hollywoodstar, bekannt geworden mit Filmen wie „Im Club der toten Dichter“ oder „Before Sunrise“, hat mit „Aschermittwoch“ bereits seinen zweiten Roman geschrieben. Für sein Debüt „Hin und Weg“ im Jahr 1996 soll er bereits 300.000 Dollar Vorschuss kassiert haben. Die Sache lohnt sich für die Verlage, wenn nicht nur ein Buch, sondern ein Star verkauft werden kann. Dass Ethan Hawke ganz gut schreiben kann und recht flotte Dialoge zu Papier bringt, erleichtert die Angelegenheit zusätzlich.
Wie jede On-the-road-Geschichte ist auch diese Fahrt quer durch die Vereinigten Staaten vor allem eine Reise zu sich selbst, voller Kurven und Unwägbarkeiten. Im Auto mit der gemeinsamen Einsamkeit konfrontiert, müssen Jimmy und Christy sich mit ihren Wünschen und Vorstellungen auseinander setzen, mit ihren Macken und Ängsten und damit, wie sie ihr Leben verbringen wollen. Die Gefühle, die Leidenschaft oder vielleicht auch nur die Hormone diktieren den Weg. Auf die Trennung folgt die Eheschließung folgt die Trennung und zuletzt dann vielleicht doch eine Art Happyend – falls man die gemeinsame Zukunft mit Kind und Kegel als glücklichen Ausgang interpretieren möchte. „Glück“, sagt Christy, die Klügere von den beiden, „wird allgemein überschätzt.“ Und Jimmy muss allmählich begreifen, dass das Gelingen einer Partnerschaft sich nicht allein daran bemisst, ob man jeden Tag mindestens zweimal gevögelt hat.
Sauber aufgereiht stehen seltsame Gestalten am Wegesrand, Schicksalsrepräsentanten, an denen die Reisenden immer neue Prüfungen zu absolvieren haben. Ein blinder Schwarzer betastet Christys Gesicht und Brüste, um sich eine Vorstellung von ihr zu machen. Ein skurriler Pfarrer in Ohio untersucht Jimmys religiöse Überzeugungen, bevor er die Eheschließung besiegelt. Und aus Erzählungen erfährt man etwas über die Eltern, über Jimmys wahnsinnigen Vater, einem Vietnamveteranen, der durch Selbstmord endete, und Christys Mutter, die einst die Tochter als Säugling beim Vater zurückgelassen hat.
Ethan Hawke erzählt abwechselnd aus Jimmys und Christys Perspektive. In langen Monologen lässt er sie ihre Gedanken über Ehe, Tod und Schicksal ausbreiten. Jimmys Lebensweisheiten sind dabei eher schlicht gestrickt und klingen – Achtung Mädels, aufgepasst! – etwa so: „Wenn eine Frau einen Mann wirklich halten möchte, muss sie ihm nur erzählen, dass sie wirklich an ihn glaubt und dass er einen großen Schwanz hat. Mehr ist nicht nötig. Und es muss noch nicht mal stimmen.“ Für Jimmy ist Gott „ein echt wichtiges Thema“, doch sein Religionsbedürfnis speist sich vor allem aus dem Wunsch, geliebt zu werden und im Universum nicht so ganz alleine zu sein. Christy ist wesentlich abgeklärter. Sie glaubt nicht an Gott, sondern bloß an die Liebe. Und über den Tod, der für beide die Gewissheit enthält, eines Tages nicht mehr zusammen zu sein, sagt sie: „Dann würde meine Kreditkarte annulliert und mein Führerschein hätte seine Berechtigungsperson verloren.“ Trockener kann man sich von Metaphysik wohl nicht verabschieden.
Das klingt alles echt total nach Spätpubertät, nach männlicher Potenzprahlerei und weiblicher Skepsis wie aus dem Bilderbuch. Kerouac ist als Vorbild erkennbar, doch näher liegt David Lynchs Film „Wild at heart“. Ethan Hawke nähert sich seinen Protagonisten wie ein Schauspieler an. Am Schreibtisch studiert er die Rollen ein und kommt dicht an sie heran. Die Authentizität, die er so erreicht, ist jedoch mit erzählerischer Stagnation erkauft. Hat man einmal begriffen, wie die Figuren denken und fühlen, dann tut sich nicht mehr viel. Der Drive bleibt auf der Strecke, und das sollte nicht passieren „on the road“, wo es doch immer weitergehen muss, immer der Nase nach. Muss man es demnach als Symbol begreifen, dass Jimmy am Ende des Buches in einer Schlägerei die Nase gebrochen wird?
Das Schlimme an jeder On-the-road-Story ist ja, dass man nur unterwegs die Gewissheit haben kann, immer weiter vorwärts fliehen zu können. Am Ziel triumphiert dann doch die Ratlosigkeit. Denn wohin soll es von hier aus weitergehen?
Ethan Hawke: „Aschermittwoch“. Aus dem Amerikanischen von Franca Fritz und Heinrich Koop. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 324 S., 19,90 €
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